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Ich weiß

Von

Ich weiß, dass ich bald sterben muss.
Es leuchten doch alle Bäume
nach langersehtem Julikuss –

Fahl werden meine Träume –
nie dichtete ich einen trüberen Schluss
in den Büchern meiner Reime.

Eine Blume brichst du mir zum Gruß –
ich liebte sie schon im Keime.
Doch ich weiß, dass ich bald sterben muss.

Mein Odem schwebt über Gottes Fluss –
ich setze leise meinen Fuß
auf den Pfad zum ewigen Heime.

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Gedicht: Ich weiß von Else Lasker-Schüler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ich weiß“ von Else Lasker-Schüler ist von einer tiefen Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens und dem nahenden Tod durchzogen. Die erste Strophe beginnt mit der Feststellung, dass der lyrische Sprecher weiß, dass der Tod bald kommt. Trotz dieser Gewissheit wird die Schönheit der Natur nicht verdrängt, da „alle Bäume nach langersehtem Julikuss“ leuchten. Dieser „Julikuss“ steht symbolisch für eine Freude und Lebenskraft, die trotz der Erkenntnis der Vergänglichkeit noch erlebbar ist. Die paradoxe Verbindung von Wissen um das Sterben und gleichzeitiger Wahrnehmung der Schönheit des Lebens wird in dieser Strophe auf meisterhafte Weise eingefangen.

In der zweiten Strophe offenbart sich die zunehmende Dunkelheit und Vergeblichkeit des Lebens. Der Sprecher spricht von „fahlen Träumen“, die eine innere Leere widerspiegeln. Es wird der Eindruck erweckt, dass die Visionen und Hoffnungen des lyrischen Ichs sich mit dem herannahenden Ende verflüchtigen. „Nie dichtete ich einen trüberen Schluss“ deutet darauf hin, dass die vergangenen kreativen Werke des Sprechers nun mit einem Gefühl des Verlustes und der Resignation überschattet werden. Es entsteht die Vorstellung, dass das Ende des Lebens auch das Ende der schöpferischen Freude bedeutet.

Die dritte Strophe ist ein weiteres Nachdenken über das Leben und den Tod. Die Blume, die der Sprecher „zum Gruß“ erhält, steht für das Leben, das in seiner Frühzeit (dem „Keime“) bereits geliebt wurde. Diese Erinnerung an den Beginn des Lebens – an die Liebe zum Leben schon im „Keime“ – verstärkt die Tragik, dass der Tod jetzt naht. Der Gegensatz zwischen der frühen Freude und der nahen Sterblichkeit wird hier besonders spürbar, da der Sprecher den Verlust in vollen Zügen erkennt und doch in einer Art nostalgischer Zärtlichkeit verweilt.

In der abschließenden Strophe stellt sich der Tod nicht als Ende, sondern als Übergang dar. Der „Odem“, der über „Gottes Fluss“ schwebt, verweist auf eine spirituelle Perspektive, bei der das Leben als fließend und miteinander verbunden mit einem höheren Sein verstanden wird. Der „Pfad zum ewigen Heime“ symbolisiert den Übergang in eine andere Welt, einen endgültigen Ort der Ruhe und des Friedens. Diese Zeilen deuten auf eine Akzeptanz des Sterbens hin, eine ruhige Übergabe an das, was kommt, auch wenn der Weg dorthin von Trauer und Verlust gezeichnet ist.

Else Lasker-Schüler zeigt in „Ich weiß“, wie das Bewusstsein des nahenden Todes das Leben in seiner vollen Schönheit und seiner Vergänglichkeit durchdringt. Die gleichzeitige Präsenz von Leben und Tod, von Liebe und Verlust, zieht sich wie ein roter Faden durch das Gedicht und vermittelt eine tiefe, existenzielle Einsicht. Es ist ein Gedicht über den Abschied, die Erinnerung und das Loslassen, das zugleich Trost in der Vorstellung des ewigen Heims bietet.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.