Frühling
Wir wollen wie der Mondenschein
die stille Frühlingsnacht durchwachen,
wir wollen wie zwei Kinder sein.
Du hüllst mich in dein Leben ein
und lehrst mich so wie du zu lachen.
Ich sehnte mich nach Mutterlieb
und Vaterwort und Frühlingsspielen,
den Fluch, der mich durchs Leben trieb,
begann ich, da er bei mir blieb,
wie einen treuen Freund zu lieben.
Nun blühn die Bäume seidenfein
und Liebe duftet von den Zweigen.
Du musst mir Mutter und Vater sein
und Frühlingsspiel und Schätzelein
und ganz mein eigen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Frühling“ von Else Lasker-Schüler ist von einer tiefen Sehnsucht nach Geborgenheit und einer idealisierten, kindlichen Liebe geprägt. Die ersten Verse eröffnen mit einem Bild der Zweisamkeit, das die Sprecherin und den Geliebten mit dem Mondenschein und der stillen Frühlingsnacht verbinden. Die Idee, „die stille Frühlingsnacht durchzuwachen“, suggeriert eine intime Verbindung, die den Übergang von Tag und Nacht übersteigt, und verweist auf eine gemeinsame, zeitlose Erfahrung.
Die Zeilen „wir wollen wie zwei Kinder sein“ drücken den Wunsch nach Unschuld und Unbeschwertheit aus. In der Liebe zu diesem Menschen möchte die Sprecherin die Freuden der Kindheit wiederentdecken – ein Zustand des Spiels, des Lachens und des einfachen Glücks. Es ist eine Einladung zu einer reineren und sorglosen Existenz, die sie durch den Geliebten erfährt, der sie in „sein Leben einhüllt“ und ihr beibringt, wie er zu lachen.
In der zweiten Strophe wird die Sehnsucht nach einer mütterlichen und väterlichen Liebe deutlich. Die Sprecherin drückt aus, dass sie sich nach der „Mutterlieb“ und dem „Vaterwort“ gesehnt hat. Doch statt diese Sehnsüchte auf die Familie zu richten, beginnt sie den „Fluch“, der sie ihr Leben lang begleitete, als „treuen Freund“ zu lieben. Diese Metapher zeigt eine interessante Wendung: Der Fluch, der für Leiden und Entbehrung steht, wird in gewisser Weise akzeptiert und als fester Bestandteil ihres Lebens und ihrer Identität begriffen. Es könnte auch auf die Heilung durch die Liebe hinweisen, die sie von diesem inneren Schmerz befreit.
Die Naturbilder am Ende des Gedichts verstärken die Botschaft von Erneuerung und Blüte. Die „Bäume“ blühen „seidenfein“, was auf die zarte, frische Schönheit des Frühlings und damit auf eine neue Phase des Lebens hinweist. Der „Frühling“ als Symbol für Neubeginn und Hoffnung ist allgegenwärtig. In dieser Phase bittet die Sprecherin ihren Geliebten, für sie „Mutter und Vater“ zu sein, „Frühlingsspiel“ und „Schätzelein“ – eine Vereinigung aller fürsorglichen und nährenden Kräfte. Die Sehnsucht nach einer allumfassenden, bedingungslosen Liebe wird hier auf poetische Weise ausgedrückt, wobei der Geliebte in ihrer Welt das Zentrum der Geborgenheit und Zuneigung wird.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.