Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , ,

Sommerende

Von

Hat auch die Made verrostet
Pflaume und Spilling wie toll –
da sie, von Wahnsinn umglostet,
selbst sich im Fruchtfleisch gekostet,
war sie der Pfeil des Apoll.

Mochte das Eichhorn die Schalen,
knisternder Nusskerne voll,
scharf wie durch Feuer zermahlen –
zuckend im Laubwerk, dem fahlen,
war es der Blitz des Apoll.

Spilling und Nüsse und Pflaumen,
ach, wie es pochte und scholl:
„Spinnweb läuft bald übern Daumen,
Süßigkeit löst sich vom Gaumen
und von der Erde Apoll!“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Sommerende von Elisabeth Langgässer

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sommerende“ von Elisabeth Langgässer ist eine knappe, aber kraftvolle Allegorie auf die Vergänglichkeit und den Wandel der Natur, die in ihrem Absterben zugleich von göttlicher Durchdringung erfüllt ist. In einer dichten Bildsprache, die zwischen Zersetzung und Erleuchtung oszilliert, wird der Übergang vom Sommer zum Herbst als ein sowohl sinnlicher als auch mythisch aufgeladener Prozess dargestellt.

Im Zentrum des Gedichts stehen Früchte – Pflaumen, Spillinge, Nüsse –, die reif, süß und prall vom Leben künden, aber gleichzeitig schon dem Verfall preisgegeben sind. Die Made, die das Obst zerstört, wird nicht als bloßer Schädling dargestellt, sondern als „Pfeil des Apoll“, also als Ausdruck einer göttlichen Kraft, die in der Zerstörung wirkt. Diese Verbindung von Verfall und göttlicher Inspiration ist typisch für Langgässers Lyrik, in der oft ein heiliger Kern im Irdisch-Zerfallenden aufscheint.

Auch das Eichhörnchen, das mit den Nussschalen spielt und dabei Zuckungen im trockenen Laub verursacht, wird in eine größere, mythologische Ordnung eingebettet – es ist der „Blitz des Apoll“. Der Gott Apoll, Inbegriff des Lichts, der Kunst und der Ordnung, erscheint hier in paradoxen Bildern: als Zerstörer und gleichzeitig als Erheller der Naturprozesse. Damit wird deutlich, dass auch der Verfall des Sommers, das Knacken, das Gären und der Wahn, Ausdruck einer höheren Ordnung sind.

In der letzten Strophe kulminiert das Geschehen in einer klangvollen Beschwörung: Das Spinnweb – traditionell ein Symbol für Vergänglichkeit – „läuft übern Daumen“, ein leiser Hinweis auf Zeitmessung, auf das menschliche Erfassen des Zyklus. Die „Süßigkeit“ verlässt den Gaumen – der Genuss vergeht –, und schließlich auch Apoll selbst „von der Erde“. Damit endet das Gedicht in einer leisen, aber mächtigen Melancholie: Der göttliche Glanz zieht sich zurück, der Sommer geht, das Licht schwindet. Doch gerade dieser Rückzug wird als Teil eines größeren, heiligen Rhythmus verstanden.

Langgässer gelingt es mit wenigen, dichten Strophen, den Abschied vom Sommer nicht als Verlust, sondern als durchwirkte, fast ekstatische Metamorphose darzustellen – ein Vorgang, in dem selbst die Zerstörung von der Schönheit des Göttlichen durchleuchtet ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.