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Ein griechischer Kaiser

Von

Ist′s ein Narr bloß? Ist′s ein Weiser?
Dreißig Jahre eingeschlossen,
Sitzt er schon in dunkler Klause.
Selbst erforschen will′s der Kaiser,
Und, vom höchsten Glanz umflossen,
Naht er sich dem öden Hause.

Auf der Erde hingekauert
Liegt der Blöde und betrachtet
Sich den Gast mit stolzen Mienen.
Alles fühlt sich fremd durchschauert,
Daß ein Bettler den verachtet,
Dem der Erde Völker dienen.

Sollte mich der Greis nicht kennen? –
Ruft der Kaiser – Doch ich staune,
Drüben steht ja meine Büste!
Nein, ich brauch′ mich nicht zu nennen,
Denn ihm wehrt nur tück′sche Laune,
Mich zu ehren, wie er müßte.

Was ihn treibt, wer könnt′ es sagen?
Wär′ es Trotz, so müßt′ ich′s rächen,
Doch, es will mir Wahnsinn scheinen;
Um die Zukunft wollt′ ich fragen,
Aber, statt mit dem zu sprechen,
Such′ ich Weisheit bei den Steinen.

Doch, sowie das Wort gefallen,
Hat der Blöde sich erhoben
Und nach seinem Stab gegriffen,
Seine langen Locken wallen,
Wie zum Rock um ihn verwoben,
Und sein Stab ist scharf geschliffen.

Vor des Kaisers Büste tretend,
Schlägt er ihr vom Haupt die Krone,
Und in Stücke fällt sie nieder,
Bohrt ihr dann, wie Disteln jätend,
Noch die Augen aus zum Hohne,
Jauchzt und tanzt und legt sich wieder.

Alles sieht ihm zu mit Grauen,
Dennoch zwingt man sich zum Lachen,
Und des Kaisers Bruder flüstert:
»Ich genieße dein Vertrauen,
Laß mein Schwert nur fürder wachen,
Und dein Stern wird nie verdüstert!«

Aber, eh′ der Tag noch endet,
Steigt, der schmeichelnd so gesprochen,
Selber auf den Thron der Griechen,
Und der Kaiser liegt geblendet,
Wo die Totenwürmer pochen
Und die gift′gen Molche kriechen.

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Gedicht: Ein griechischer Kaiser von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein griechischer Kaiser“ von Friedrich Hebbel entfaltet in sieben Strophen ein komplexes Bild von Macht, Wahnsinn und dem Vergänglichen. Es beginnt mit einer Szene der Begegnung zwischen einem Kaiser und einem in einer dunklen Klause eingeschlossenen, vermeintlich wahnsinnigen Greis. Die zentrale Frage, ob der Greis ein Narr oder ein Weiser ist, bleibt bis zum Ende offen und treibt die Spannung des Gedichts an. Der Kaiser, umgeben vom Glanz seiner Macht, sucht die Begegnung, um das Rätsel zu ergründen, wird aber mit einer bizarren und verstörenden Szene konfrontiert.

Die Reaktion des Greises auf den Kaiser ist von Anfang an rätselhaft und provokativ. Er betrachtet den Kaiser „mit stolzen Mienen“ und scheint ihn zu verachten. Die Enttäuschung des Kaisers wird in der dritten Strophe deutlich, als er feststellt, dass eine Büste seiner selbst im Raum steht. Die Vermutung, dass der Greis ihn nicht erkennt, wird durch dessen Verhalten widerlegt, denn er scheint sich der Person des Kaisers durchaus bewusst zu sein, verweigert aber die angemessene Ehrung. Diese Ablehnung und die darauffolgende Zerstörung der Kaiserkrone sind zentrale Momente, die das Gedicht prägen.

Die vierte Strophe markiert einen Wendepunkt, in dem der Kaiser seine Absichten und seine Verzweiflung zum Ausdruck bringt. Er fragt sich, was den Greis antreibt, und erwägt Rache, scheut aber vor dem Wahnsinn zurück. Stattdessen sucht er nach Weisheit, was die Ironie der Situation unterstreicht, denn der Kaiser sucht Rat bei einem vermeintlich Wahnsinnigen. Die darauffolgende Zerstörung der Büste ist der Höhepunkt der Destruktion und des Wahnsinns. Der Greis zerbricht die Krone und zerstört die Augen, was die Macht des Kaisers symbolisch entwertet.

Die letzten beiden Strophen offenbaren die Tragödie des Kaisers. Der Bruder des Kaisers, der ihn scheinbar beschützen will, nutzt das Chaos und die Verwirrung, um selbst die Macht an sich zu reißen. Der Kaiser wird getötet und in einer düsteren Umgebung zurückgelassen. Dieses Ende unterstreicht die Vergänglichkeit von Macht und Reichtum und die Gefahr, die von Intrigen und Verrat ausgeht. Das Gedicht ist eine düstere Auseinandersetzung mit den Themen Macht, Wahnsinn und dem menschlichen Streben nach Erkenntnis.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.