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Peregrina

Von

1.

Der Spiegel dieser treuen, braunen Augen
Ist wie von innerm Gold ein Widerschein;
Tief aus dem Busen scheint er’s anzusaugen,
Dort mag solch Gold in heilgem Gram gedeihn.
In diese Nacht des Blickes mich zu tauchen,
Unwissend Kind, du selber lädst mich ein –
Willst, ich soll kecklich mich und dich entzünden,
Reichst lächelnd mir den Tod im Kelch der Sünden!

2.

Aufgeschmückt ist der Freudensaal.
Lichterhell, bunt, in laulicher Sommernacht
Stehet das offene Gartengezelte.
Säulengleich steigen, gepaart,
Grün-umranket, eherne Schlangen,
Zwölf, mit verschlungenen Hälsen,
Tragend und stützend das
Leicht gegitterte Dach.

Aber die Braut noch wartet verborgen
In dem Kämmerlein ihres Hauses.
Endlich bewegt sich der Zug der Hochzeit,
Fackeln tragend,
Feierlich stumm.
Und in der Mitte,
Mich an der rechten Hand,
Schwarz gekleidet, geht einfach die Braut;
Schöngefaltet ein Scharlachtuch
Liegt um den zierlichen Kopf geschlagen.
Lächelnd geht sie dahin; das Mahl schon duftet.

Später im Lärmen des Fests
Stahlen wir seitwärts uns beide
Weg, nach den Schatten des Gartens wandelnd,
Wo im Gebüsche die Rosen brannten,
Wo der Mondstrahl um Lilien zuckte,
Wo die Weymouthsfichte mit schwarzem Haar
Den Spiegel des Teiches halb verhängt.

Auf seidnem Rasen dort, ach, Herz am Herzen,
Wie verschlangen, erstickten meine Küsse den scheueren Kuß!
Indes der Springquell, unteilnehmend
An überschwenglicher Liebe Geflüster,
Sich ewig des eigenen Plätscherns freute;
Uns aber neckten von fern und lockten
Freundliche Stimmen,
Flöten und Saiten umsonst.

Ermüdet lag, zu bald für mein Verlangen,
Das leichte, liebe Haupt auf meinem Schoß.
Spielender Weise mein Aug auf ihres drückend
Fühlt ich ein Weilchen die langen Wimpern,
Bis der Schlaf sie stellte,
Wie Schmetterlingsgefieder auf und nieder gehn.

Eh das Frührot schien,
Eh das Lämpchen erlosch im Brautgemache,
Weckt ich die Schläferin,
Führte das seltsame Kind in mein Haus ein.

3.

Ein Irrsal kam in die Mondscheingärten
Einer einst heiligen Liebe.
Schaudernd entdeckt ich verjährten Betrug.
Und mit weinendem Blick, doch grausam,
Hieß ich das schlanke,
Zauberhafte Mädchen
Ferne gehen von mir.
Ach, ihre hohe Stirn,
War gesenkt, denn sie liebte mich;
Aber sie zog mit Schweigen
Fort in die graue
Welt hinaus.

Krank seitdem,
Wund ist und wehe mein Herz.
Nimmer wird es genesen!

Als ginge, luftgesponnen, ein Zauberfaden
Von ihr zu mir, ein ängstig Band,
So zieht es, zieht mich schmachtend ihr nach!
– Wie? wenn ich eines Tags auf meiner Schwelle
Sie sitzen fände, wie einst, im Morgen-Zwielicht,
Das Wanderbündel neben ihr,
Und ihr Auge, treuherzig zu mir aufschauend,
Sagte, da bin ich wieder
Hergekommen aus weiter Welt!

4.

Warum, Geliebte, denk ich dein
Auf einmal nun mit tausend Tränen,
Und kann gar nicht zufrieden sein,
Und will die Brust in alle Weite dehnen?

Ach, gestern in den hellen Kindersaal,
Beim Flimmer zierlich aufgesteckter Kerzen,
Wo ich mein selbst vergaß in Lärm und Scherzen,
Tratst du, o Bildnis mitleid-schöner Qual;
Es war dein Geist, er setzte sich ans Mahl,
Fremd saßen wir mit stumm verhaltnen Schmerzen;
Zuletzt brach ich in lautes Schluchzen aus,
Und Hand in Hand verließen wir das Haus.

5.

Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden,
Geht endlich arm, zerrüttet, unbeschuht;
Dies edle Haupt hat nicht mehr, wo es ruht,
Mit Tränen netzet sie der Füße Wunden.

Ach, Peregrinen hab ich so gefunden!
Schön war ihr Wahnsinn, ihrer Wange Glut,
Noch scherzend in der Frühlingsstürme Wut,
Und wilde Kränze in das Haar gewunden.

War’s möglich, solche Schönheit zu verlassen?
– So kehrt nur reizender das alte Glück!
O komm, in diese Arme dich zu fassen!

Doch weh! o weh! was soll mir dieser Blick?
Sie küßt mich zwischen Lieben noch und Hassen,
Sie kehrt sich ab, und kehrt mir nie zurück.

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Gedicht: Peregrina von Eduard Mörike

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedichtzyklus „Peregrina“ von Eduard Mörike besteht aus fünf Abschnitten und erzählt eine zutiefst persönliche, schmerzlich-schöne Geschichte einer verlorenen, vielleicht nie ganz möglichen Liebe. In dichter, oft traumhaft schwebender Sprache entfaltet Mörike das Bild einer geliebten Frau, die zwischen Sehnsucht, Schuld, Verklärung und innerer Fremdheit erscheint. Die wiederkehrende Figur der Peregrina wird dabei zu einer Projektion des Unerreichbaren, des innerlich Bewegenden – eine Mischung aus Muse, Geliebter und Schicksalsmacht.

In der ersten Strophe wird Peregrina mit fast mystischer Intensität eingeführt. Ihr Blick, „wie von innerm Gold“, verbindet Reinheit mit dunkler Verlockung. Schon hier liegt die Spannung zwischen Heiligtum und Sünde, zwischen kindlicher Unschuld und verführerischer Macht. Der Sprecher erkennt die Gefahr und doch folgt er der Einladung – die Liebe erscheint als bittersüßer Rausch, der Tod und Sünde in sich birgt.

Die zweite Strophe schildert ein Hochzeitsfest – möglicherweise Peregrinas eigene, jedoch bleibt vieles im Unklaren. Der Kontrast zwischen öffentlichem Ritual und intimer Nachtbegegnung ist stark: Während draußen das Fest tobt, zieht sich das Liebespaar in einen Garten voller Symbolik zurück. Die Szene im Mondlicht, zwischen Rosen und Lilien, wird zu einem Moment intensiver Nähe, aber auch Vergänglichkeit. Die Natur – Springquell, Flötenklänge, Mondlicht – bleibt unbeteiligt, fast spöttisch gegenüber der überbordenden Leidenschaft der Liebenden.

Die dritte Strophe markiert den Bruch: Ein nicht näher benannter „Betrug“ zerstört das Vertrauen. Der Sprecher verbannt Peregrina, obwohl sie ihn liebt – eine Entscheidung, die ebenso aus Schmerz wie aus moralischem Impuls zu kommen scheint. Ihr stiller Abschied in die „graue Welt“ ist von tiefer Melancholie durchzogen, und was bleibt, ist ein krankes, „wundes“ Herz. Die unerfüllte Sehnsucht bleibt bestehen – symbolisiert durch den Zauberfaden, der sie weiterhin mit dem Ich verbindet. Die Hoffnung auf eine Rückkehr lebt fort – doch ist sie nur ein seelischer Wunschtraum?

In der vierten Strophe bricht das Erinnern gewaltsam hervor – ausgelöst durch eine Alltagsszene mit Kindern. Die „mitleid-schöne Qual“ des Erinnerungsbildes sprengt die Gegenwart. Die Begegnung mit dem „Geist“ Peregrinas am festlichen Tisch ist ein Moment psychischer Überwältigung: stummes Leiden, das in lautes Schluchzen umschlägt. Die gemeinsame Flucht aus dem Festsaal symbolisiert das unwiderrufliche Fortbestehen dieser Bindung, jenseits der Realität.

Die letzte Strophe stellt Peregrina als eine moderne Maria Magdalena dar – einst geliebt, dann verstoßen, nun gebrochen, aber in ihrer Zerrissenheit noch schöner. Ihre „Wange Glut“ und der „Wahnsinn“ stehen für eine zerstörerische Liebe, die dennoch unwiderstehlich bleibt. Die letzte Szene ist ein Moment zwischen Nähe und endgültigem Verlust: Sie küsst ihn – zwischen Liebe und Hass –, doch wendet sich ab, für immer. Damit endet der Zyklus in der Tragik einer Liebe, die zu groß, zu widersprüchlich war, um Bestand zu haben.

„Peregrina“ ist ein eindrucksvolles Zeugnis romantischer Liebesvorstellung, durchzogen von tiefer seelischer Zerrissenheit, schicksalhafter Anziehung und metaphysischer Unruhe. Mörike verleiht dieser inneren Welt eine Sprache von intensiver Musikalität, Bildkraft und psychologischer Tiefe – eine Liebesgeschichte, die mehr Seele als Realität ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.