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Nimmersatte Liebe

Von

So ist die Lieb! So ist die Lieb!
Mit Küssen nicht zu stillen:
Wer ist der Tor und will ein Sieb
Mit eitel Wasser füllen?
Und schöpfst du an die tausend Jahr,
Und küssest ewig, ewig gar,
Du tust ihr nie zu Willen.

Die Lieb, die Lieb hat alle Stund
Neu wunderlich Gelüsten;
Wir bissen uns die Lippen wund,
Da wir uns heute küssten.
Das Mädchen hielt in guter Ruh,
Wie’s Lämmlein unterm Messer;
Ihr Auge bat: nur immer zu,
Je weher, desto besser!

So ist die Lieb, und war auch so,
Wie lang es Liebe gibt,
Und anders war Herr Salomo,
Der Weise, nicht verliebt.

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Gedicht: Nimmersatte Liebe von Eduard Mörike

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Nimmersatte Liebe“ von Eduard Mörike thematisiert auf ironisch-pointierte Weise die unstillbare, leidenschaftliche und zugleich widersprüchliche Natur der Liebe. In einer lebendigen, bildhaften Sprache zeichnet Mörike das Bild einer Liebe, die nie genug bekommt, ständig neue Reize sucht und sich gerade durch ihr rastloses Verlangen definiert. Die Tonlage ist dabei verspielt, leicht übertrieben und von augenzwinkerndem Humor durchzogen.

Gleich zu Beginn setzt der Dichter ein prägnantes Bild: Die Liebe ist wie ein Sieb, das man mit Wasser füllen will – ein sinnloses Unterfangen. Küsse, so zahlreich sie auch sein mögen, reichen nie aus, um die Liebe zu sättigen. Dieses Bild bringt treffend zum Ausdruck, dass Liebe nicht messbar oder abschließbar ist. Ihre Natur ist unbegrenzt, überbordend – und sie bleibt immer ein wenig unersättlich.

Die zweite Strophe steigert diese Unersättlichkeit ins Leidenschaftliche und Körperliche. Die Liebenden „bissen sich die Lippen wund“, und das Mädchen reagiert nicht etwa mit Zurückhaltung, sondern mit einer Mischung aus Hingabe und Provokation: „Je weher, desto besser!“ Die erotische Spannung wird hier fast spielerisch in eine Art masochistisches Verlangen überführt. Zugleich wird die weibliche Figur mit dem „Lämmlein unterm Messer“ verglichen – ein ambivalentes Bild, das sowohl Opferbereitschaft als auch ein stilles Einverständnis suggeriert.

In der letzten Strophe bringt Mörike die zentrale Einsicht auf den Punkt: Die Liebe war schon immer so, nimmersatt und voller Widersprüche. Auch der weise König Salomo, bekannt für seine Lebensklugheit, wäre – so die ironische Pointe – wohl nicht ganz bei Verstand gewesen, hätte er sich auf die Liebe eingelassen. Diese augenzwinkernde Schlussbemerkung unterstreicht das Spannungsverhältnis zwischen Vernunft und Leidenschaft, das die Liebe seit jeher begleitet.

„Nimmersatte Liebe“ ist somit eine kleine, aber kraftvolle Reflexion über das Wesen der Liebe – sie ist leidenschaftlich, sinnlich, überfordernd und irrational. Mörike gelingt es, in wenigen Strophen die ewige Dynamik der Liebe einzufangen: zwischen Begehren und Unersättlichkeit, Schmerz und Lust, Hingabe und Ironie.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.