Seid mir gegrüßt, ihr Wolken!
Allwissende, denn Töchter
Seid ihr des Meers, und wisset
Was alles seine Tiefen
Geheimnißvoll verhüllen;
Und kaum geboren, steiget
Ihr in das Reich der Lüfte,
Und schauet auf den Menschen,
Den die Natur an′s Erdreich
Gefesselt hält, hernieder
Aus schwindelhafter Höhe.
Wie euch beliebet, wallet
Nach Osten und nach Westen,
Nach Süden oder Norden
Ihr auf windschnellen Flügeln,
Und sehet Berg′ und Thäler
Und Wälder und Gefilde,
Unabsehbare Seee,
Der Ströme Quell′ und Mündung
Mit einem einz′gen Blicke,
Und seht auf Städt′ und ihre
Unruhigen Bewohner,
Ameisenhaufen ähnlich,
Mitleidiglächelnd nieder.
Selbst tragt in euerm Schooße
Ihr Sturm, Gewitter, Regen.
Hier schnellt ihr Schlangenblitze,
Gefolgt von lauten Donnern;
Da schüttelt ihr die Wipfel
Erhabner Eichenwälder;
Dort strömt wohlthät′gen Regen
Ihr auf die dürren Felder.
Ihr spielet mit der Sonne,
Dem Monde und den Sternen,
Bald sie in voller Klarheit
Uns Sterblichen hienieden
Darstellend, bald in zarte,
Oft auch in dichte Schleier,
Wie′s euch gefällt, sie hüllend.
Die Wolken
Mehr zu diesem Gedicht
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Wolken“ von Elisabeth Kulmann ist eine Hymne an die Wolken, die als allwissende und allgegenwärtige Wesen dargestellt werden. Es beginnt mit einer direkten Anrede, die bereits die Wertschätzung und Bewunderung des lyrischen Ichs für die Wolken erkennen lässt. Die Wolken werden als Töchter des Meeres und somit als Trägerinnen von Wissen beschrieben, da sie die Geheimnisse der Tiefe kennen. Dieser Einstieg etabliert eine Distanz zwischen den Wolken und den Menschen, die durch ihre geographische Verankerung an die Erde gebunden sind.
Die zweite Strophe hebt die Mobilität der Wolken hervor, die sich frei durch die Lüfte bewegen und die Welt aus einer erhöhten Perspektive betrachten. Sie beherrschen das Himmelszelt und überblicken die Landschaft, die Städte und die Menschen, die in ihnen wie „Ameisenhaufen“ wirken. Dieser Vergleich unterstreicht die Kleinheit und die Unruhe des menschlichen Treibens, während die Wolken mitleidig lächeln, eine Geste der Überlegenheit und des Verständnisses. Die Wolken sind somit nicht nur Beobachter, sondern auch neutrale Richter über das irdische Geschehen.
Im weiteren Verlauf wird die Macht der Wolken dargestellt, die nicht nur Schönheit, sondern auch Naturgewalten wie Sturm, Gewitter und Regen mit sich bringen. Sie sind sowohl Zerstörer als auch Lebensspender, indem sie Blitze schleudern, Wälder erschüttern und wohltuenden Regen über dürre Felder bringen. Diese Ambivalenz zeigt die Natur in ihrer Gesamtheit, ihre Fähigkeit zur Zerstörung und zur Erneuerung. Die Wolken sind somit eine Verkörperung der Naturgewalten.
Die abschließende Strophe würdigt das Spiel der Wolken mit den Himmelskörpern, wie Sonne, Mond und Sterne. Sie verhüllen oder enthüllen diese Himmelskörper nach Belieben, wodurch sie die Welt für die Sterblichen in verschiedenen Stimmungen darstellen. Dieses Spiel verleiht den Wolken eine künstlerische und spielerische Dimension, die ihre ästhetische Bedeutung hervorhebt. Das Gedicht endet mit der Betonung der Unberechenbarkeit und der ästhetischen Kraft der Wolken, die sich frei entfalten können und das Leben der Menschen beeinflussen.
Weitere Informationen
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.
