Die Schusterin
Es war einmal eines Schusters Frau,
Ein wunderschönes Weib,
Die liebte die feinen Herren
Zum schönsten Zeitvertreib.
Maß einem edlen Grafen
Der Schuster Schuhe an,
So stand sie dicht daneben
Und lächelte ihn an.
Im Garten steht eine Laube,
Es zwitschert die Nachtigall.
Dort traf sie nachts im Dunkeln
Die Kavaliere all.
Ihr Haar flog wild im Winde,
Der Mond verkroch sich sacht.
Sie liebte in ihrer Sünde
Sieben in einer Nacht.
Und als die Sonne aufging,
Der Schuster trat hervor,
Blaß wie der bleiche Vollmond
Und schwankend wie ein Rohr.
»Ich will meine Schande nicht sehen mehr
Und mein zerfallenes Haus…«
Er hob den Schusterpfriemen
Und stach sich die Augen aus.
Die Schusterin fiel in Ohnmacht,
Und als sie lallend erwacht,
Da haben zwei schwarze Männer sie
Ins Irrenhaus gebracht.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Schusterin“ von Klabund erzählt in drastischen Bildern von Untreue, Leidenschaft und den verheerenden Folgen einer außerehelichen Affäre. Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung der titelgebenden Figur, einer wunderschönen Frau eines Schusters, deren Leidenschaft darin besteht, „die feinen Herren“ zu lieben. Diese Einleitung deutet sofort auf eine moralische Verfehlung hin und etabliert die Tragweite der Handlung. Die Erwähnung des „schönsten Zeitvertreibs“ unterstreicht die Vergnügungssucht und die leichtfertige Einstellung der Frau.
Die zweite und dritte Strophe zeichnen ein Bild der Verführung und des heimlichen Treffens. Die Szene, in der die Schusterin den Grafen anschaut, während ihr Mann die Schuhe misst, deutet auf die verbotene Begierde hin. Die Laube und die Nachtigall erzeugen eine romantische Atmosphäre, die den Hintergrund für die nächtlichen Rendezvous bildet. Die Erwähnung, dass sie in einer einzigen Nacht sieben Männer liebte, ist ein Höhepunkt der Schamlosigkeit und Unterstreicht die Entfesselung der Begierde.
Die darauffolgenden Strophen verdeutlichen die katastrophalen Konsequenzen dieser Untreue. Der Schuster wird durch die Enthüllung der Affäre in den Wahnsinn getrieben, dargestellt durch seine blasse Gesichtsfarbe und sein schwankendes Auftreten. Der Akt der Selbstverstümmelung, das Ausstechen seiner Augen, ist ein radikales Symbol für die Verzweiflung und den Wunsch, die Schande nicht mehr sehen zu müssen. Der Kontrast zwischen dem sinnlichen Beginn und dem gewalttätigen Finale ist besonders stark.
Das Gedicht endet mit dem Untergang der Schusterin. Ihr Sturz in die Ohnmacht, gefolgt von der Einweisung in ein Irrenhaus, unterstreicht das allgemeine Scheitern und die Bestrafung. Klabund verwendet hier eine schonungslose Sprache, die die emotionale und moralische Verwüstung der beteiligten Personen darstellt. Die Geschichte ist eine düstere Warnung vor den Folgen von Leidenschaft, Untreue und der Zerstörung, die sie in sich birgt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.