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Die Narzisse

Von

Narzisse war die Tochter
Endymions, des schönen,
Des einzigen von Menschen
Und Göttern, der Dianen
Zu sanfteren Gefühlen,
Und sanfteren Geschäften
Bewog, als die Gehölze
Arkadiens mit Bogen
Und Pfeil, von früher Dämmrung
Bis nach der Abendröthe,
Mit Mordlust zu durchstreifen.
Der Mutter Sinn und Schönheit
War auch Narzissen eigen.
Sie kannte kein Vergnügen,
Als von dem Silberbogen
Des Ziels gewisse Pfeile
Bis an den Saum der Wolken
Dem Habicht nachzusenden,
Der ihrer Lieblingsvögel
Noch nackte Brut verschlungen;
Im windeschnellen Laufe
Den Hafen zu ereilen;
Mit rächerischem Speere
Den Fuchs kühn zu erlegen;
Trotz Warnungen stets wünschend
Auf ihren Streifereien
Auf einen Wolf zu stoßen.

Selbst wenn in schwülen Tagen
Die Gluth des Rosenleibes
In kühler Fluth zu mindern
Am Abend sie beschlossen;
Wird nimmer sie die Stelle
Erwählen, wo der Waldbach,
Vom Taumel seines Sturzes
Sich endlich ganz erholend,
Klar wie ein Spiegel hinfließt:
Nein, in den Schaum des Falles
Wird munter sie sich stürzen,
Des zarten Silbernebels,
Der über ihm leicht schwebend
Wie Iris Bogen glänzet,
Sich freuend, und des lauten
Betäubenden Getöses,
Der bebenden Gesträuche
Des reichbelaubten Ufers,
Und der vom Sturz der Wasser
Schon blankgeschliffnen Felsen.

Und ist dem goldnen Haupthaar
Die Nässe nun entflossen,
So schlingt sie kunstlos wieder
In einem üpp′gen Wulste
Es um die hohe Stirne;
Wirft hastig um die Schultern
Die männlichen Gewande,
Verachtend ihres eignen
Geschlechtes weiche Kleidung;
Und eilet zu des Vaters
Gesträuchumwachs′ner Wohnung,
Um karger Ruh zu pflegen,
Und vor dem Tage wieder
Der Spur des Wilds zu folgen.

Es war die schöne Wilde
Der Jünglinge Gedanke
Am Tag, ihr Traum in Nächten;
Doch ungerühret oder
Verschmähend sah sie alle.
Oft sprach zu ihr der Vater:
»Die Götter und die Menschen
»Sind Amors Unterthanen.
»Glaubst du dich seiner Herrschaft
»Entziehn zu können? Liebe:
»Und mache dich, und durch dich
»Der Jüngling′ einen glücklich,
»Die lang dich schon umwerben.
»So seh′ ich noch, eh′ selbst ich
»Zum Greis geworden, meiner
»Narzisse holde Kinder
»In meiner Hütt′ erwachsen.« –

Den ersten, der mein Herz rührt,
Will ich, o Vater, wählen;
Bis itzt gelang es keinem:
Erwiedert sie, und suchet
Des Vaters düstre Wolken
Durch Kosen zu zerstreuen.

Als einst vom grauen Morgen
Bis nach der Mittagsstunde
Sie einem zarten Rehe
Vergebens über Felder
Und Hügel nachgesetzet,
Des Tages Gluth einathmend;
Sucht müde und erschöpfet
Sie eine Quelle, deren
Willkommenes Geräusch ihr
Vom Walde her ins Ohr tönt.

Kaum hat den Saum der Waldung
Sie überschritten, siehe,
Da wölben, wie zu einem
Geräumighohen Dome
Sich alter Bäume Wipfel,
Nur einen engen Eingang
Dem Sonnenlicht gewährend.
In diesem heil′gen Dunkel
Erweitert sich der Quelle
Gesammeltes Gewässer
Zu einem tiefen Teiche,
Den duftigweicher Rasen
Wollüstig rings begränzet.

Müd′ läßt sich hier Narzisse
Am Rand des Teiches nieder,
Willkommne Kühlung athmend,
Lehnt Bogen, Speer und Köcher
An einer nahen Eiche
Bemoosten Stamm, und lauschet
Dem traurigsüßen Liede,
Das (eh′ der Stolz des Lenzes,
Nun kinderlos) sich selber
Und dem mitleid′gen Hain singt
Die Nachtigall. Es wecken
Die Klagetöne tausend
Eh′ ungeahnte Triebe
Itzt in Narzissens Busen.
Es füllet unwillkührlich
Ihr Auge sich mit Thränen.
In unerklärbar süße
Und schreckende Gedanken
Verloren, neigt ihr Haupt sie,
Dem spiegelhellen Teich zu,
Auf ihre Rechte. Götter!
Was für ein Anblick! Reizend
Und hehr gleich einem Gotte
Strahlt aus der Tief′ ein Antlitz
Starrblickend ihr entgegen.
Laut schreiend klammert fest sie
Die Arme um die Eiche,
Ihr zartes Antlitz gegen
Die rauhe Rinde drückend,
Bis sie allmählig wieder
Vom Schrecken sich erholte
Und sprach : »Warum erschrak ich,
»Als ob ein Ungeheuer
»Mich zu verschlingen drohte?
»Ja, eines Gottes Antlitz
»War es; zwar ernst, doch zornlos;
»Vielleicht selbst gütig; aber
»Unsäglich schön und reizend.
»Beinah zu zart für einen
»Selbst von den jüngsten Göttern;
»Die Tracht glich ganz der meinen….
»Brauch′ ich mich sehr zu wundern,
»Daß einer Göttin Tochter
»Ein Gott erschien? … Durch Zufall
»Vielleicht…. Kann er der Eigner
»Nicht sein von diesem Bache?…
»Vielleicht auch…. Ließ nicht Neptun,
»Ja selbst der Götter Gott sich
»Herab zu Erdetöchtern?
»Ich Thörin!«

Bangneugierig
Neigt zögernd sie von neuem
Ihr Antlitz nach dem Teiche,
Und fährt erschrocken wieder
Zurücke bei dem Anblick.
Doch endlich sich ermannend,
Wagt sie′s ihn zu betrachten.
»Was seh′ ich, gute Götter!
»Find′ ich hier nicht der Mutter
»Geliebte Züge wieder?
»Dies ist Dianens Stirne,
»Ihr heitres blaues Auge,
»Dieselbe Hoheit, Würde,
»Derselbe Wuchs!… Ist′s Irrthum,
»Was mein Gemüth itzt ahnet?
»Er ist ein jüngrer Bruder,
»Oder ein Sohn Apollo′s;
»Und liebend führt die Mutter
»Mich in des Gottes Arme,
»Erröthend beim Gedanken:
»Der Tochter hohe Abkunft
»Zur irdischen Verbindung
»Erniedriget zu sehen….
»Und wie wirst, theurer Vater,
»Du dich erfreun, du selbst einst
»Der strengsten Göttin Flamme,
»Wenn bald in Götter-Enkeln
»Du dich verjünget sehn wirst!
»Wie liebend er mich anblickt!
»Die Röthe seiner Wangen,
»Und diese Feuerworte,
»Die zum sanftoffnen Munde
»Mit Ungestüm sich drängen,
»Gestehn mir seine Liebe…
»Wie sehnend er die Arme
»Mich zu umfangen ausstreckt!
»O komm herauf, Geliebter!
»Und hör′ aus meinem Munde
»Der Gegenliebe Worte….
»Was säumest du? Ist Vorsicht
»Dem Gotte nöthig, wenn ihm
»Ein Mädchen winket? Oder
»Darfst etwan auf der Erde
»Gebiet du dich nicht wagen
»Als Wassergott?… O wehe!
»Wer raubt mir den Geliebten?
»Und trübt dies klare Wasser,
»Um seine Flucht zu sichern?
»O Götter! ihr beneidet
»Narzissens künft′ge Wonne;
»Es raubt mir eine Göttin
»Den gleichenlosen Jüngling….
»Doch nein…. Die Frucht der Eiche,
»Vom hohen Aste fallend,
»War′s, die das Wasser trübte.
»Ich sehe noch den Falken
»Rechtshin die Luft durchschneiden,
»Deß streifendes Gefieder
»Die Frucht vom Zweige trennte;
»Und ich erblick′ aufs neue
»Das Antlitz des Geliebten….
»Du aber zürnst? Es decket
»Kein Roth mehr deine Wange,
»Und deine Arme breiten
»Sich sehnend nicht nach mir aus!
»O ich versteh′ dein Zürnen,
»Und diesen Götterwink. Ja,
»Es gab ihn mir die Mutter.
»Ihr Liebling ist der Falke,
»Und mir zur Rechten flog er,
»Und um der Tochter Liebe
»Die Bahn zu zeigen, die sie
»Nun gehen soll, ließ vor mir
»Die Frucht sie untertauchen.
»O zürne nicht, Geliebter!
»Ich eil′ in deine Arme,
»Ich eil′ in deine Tiefen.«

So stürzte sie sich häuptlings
Dem Tode in die Arme.
Es hielten in der Tiefe
Des Teichs sie böse Geister
So lange fest, bis qualvoll
Ihr Leben sie verhauchet.
Mitleidig trägt der Bach sie
Itzt an der Waldung Ende,
Wo hoch sich in die Lüfte
Dianens Tempel hebet,
Und legt sie sanft ans Ufer
Der Tempelbucht. Diana
Beweinet sie drei Tage
Mit lauter Thränenklage,
Verwandelt dann die Tochter
In die gleichnam′ge Blume,
Und trägt in Freud′ und Gram sie
Am mütterlichen Busen.

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Gedicht: Die Narzisse von Elisabeth Kulmann

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Narzisse“ von Elisabeth Kulmann ist eine tiefgründige und vielschichtige Auseinandersetzung mit Themen wie Selbstliebe, unerwiderter Liebe, der Suche nach Identität und dem Verhältnis von Mensch und Natur. Es erzählt die Geschichte der Narzisse, einer Tochter des Endymion, die sich durch ihre Stärke und Unabhängigkeit auszeichnet und die Liebe verschmäht.

Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung von Narzisses Charakter und ihren Vorlieben. Sie ist eine Jägerin, die das Leben im Freien, die Jagd und die Freiheit liebt. Sie sucht die Herausforderung, scheut Gefahren nicht und zeigt keine Neigung zur romantischen Liebe, sondern eher zur Unabhängigkeit und zur Befolgung ihres eigenen Willens. Die wiederholte Betonung ihrer Unabhängigkeit und ihrer Ablehnung der Liebe, selbst unter dem väterlichen Druck, deutet bereits auf das tragische Ende hin, das aus ihrer Selbstliebe resultieren wird.

Der Wendepunkt des Gedichts ist Narzisses Begegnung mit ihrem Spiegelbild im Teich. In diesem Moment wird sie mit der Schönheit konfrontiert, die sie an sich selbst bewundert und in der sie die Züge der Göttin Diana und der Schönheit ihrer Mutter erkennt. Sie interpretiert das Spiegelbild fälschlicherweise als einen geliebten jungen Gott, der sie liebt, und stürzt sich voller Erwartung in den Teich. Diese Entscheidung verdeutlicht ihre Unfähigkeit, die Realität zu erkennen und die Grenzen zwischen Selbstliebe und Liebe zu einem anderen Wesen zu verstehen.

Das tragische Ende, in dem Narzisse im Teich ertrinkt und dann in eine Blume verwandelt wird, symbolisiert die Konsequenzen ihrer übermäßigen Selbstliebe und ihrer Unfähigkeit, wahre Liebe zu finden oder zu empfangen. Sie ist am Ende Gefangene ihres eigenen Spiegelbildes. Das Gedicht kann auch als eine Warnung vor den Gefahren der Selbsttäuschung und der Illusionen interpretiert werden, die dazu führen, dass man die Realität verkennt und sich in einem Kreislauf der Selbstverliebtheit verliert. Die Verwandlung in eine Blume, die ihren Namen trägt, unterstreicht die Tragik und das tragische Erbe der Narzisse, die für immer an den Ort ihrer Selbstliebe gebunden bleibt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.