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Die Muschel

Von

Su, susu,
O, schlaf im schimmernden Bade,
Hörst du sie plätschern und rauschen,
Meine hüpfende blanke Najade?
Ihres Haares seidenen Tang
Über der Schultern Perlenschaum;
Horch! sie singt den Wellengesang,
Süß wie Vögelein, zart wie Traum:

»Webe, woge, Welle, wie
Westes Säuselmelodie,
Wie die Schwalbe übers Meer
Zwitschernd streicht von Süden her,
Wie des Himmels Wolken tauen
Segen auf des Eilands Auen,
Wie die Muschel knirrt am Strand,
Von der Düne rieselt Sand.«

»Woge, Welle, sachte, sacht,
Daß der Triton nicht erwacht.
In der Hand das plumpe Horn,
Schlummert er am Strudelborn.
In der Muschelhalle liegt er,
Seine grünen Zöpfe wiegt er;
Ries′le, Woge, Sand und Kies,
In des Bartes zottig Vließ.«

»Leise, leise, Wellenkreis,
Wie des Liebsten Ruder leis
Streift dein leuchtend Glas entlang
Zu dem nächtlich süßen Gang;
Wenn das Boot, im Strauch geborgen,
Tändelt, schaukelt bis zum Morgen.
In der Kammer flimmert Licht;
Ruhig, Kiesel, knistert nicht!«

Das Lied verhaucht, wie Echo am Gestade,
Und leiser, leiser wiegt sich die Najade,
Beginnt ihr strömend Flockenhaar zu breiten,
Läßt vom Korallenkamm die Tropfen gleiten,
Und sachte strählend schwimmt sie, wie ein Hauch,
Im Strahl, der dämmert durch den Nebelrauch;
Wie glänzt ihr Regenbogenschleier! — o,
Die Sonne steigt, das Meer beginnt zu zittern —
Ein Silbernetz von Myriaden Flittern!
Mein Auge zündet sich — wo bin ich? — wo?

Tief atmend saß ich auf, aus Westen
Bohrte der schräge Sonnenstrahl;
Es tropft′ und rieselt′ von den Ästen,
Die Lerche stieg im Äthersaal;
Vom blanken Erzgewürfel traf
Mein Aug′ ein Leuchten, schmerzlich flirrend,
Und in des Zuges Hauche schwirrend
Am Boden lag das Autograph.

So hab′ ich Donner, Blitz und Regenschauer
Verträumt, in einer Sommerstunde Dauer.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Muschel von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Muschel“ von Annette von Droste-Hülshoff entführt den Leser in eine verträumte, fast märchenhafte Szenerie am Meer, in der eine Najade, eine Wasserfee, eine zentrale Rolle spielt. Die Atmosphäre ist von sanften Klängen, fließenden Bewegungen und einer sinnlichen Wahrnehmung geprägt. Das Gedicht ist reich an Bildern und Metaphern, die die Schönheit und Geheimnisse der Meereswelt und der Träume beschwören.

Die Najade, die im ersten Teil des Gedichts dargestellt wird, ist ein Symbol für die Anmut und die Verlockung der Natur. Sie singt ein Lied, das die Elemente des Meeres, wie Wellen, Sand und das Rauschen des Windes, vereint und mit Naturphänomenen wie den Wolken und der Bewegung von Vögeln verglichen wird. Ihre Worte sind wie ein Zauber, der den Leser in eine Welt der Ruhe und des Friedens einlädt. Die detailreichen Beschreibungen ihrer Erscheinung, wie ihr seidenes Haar und der Perlenschmuck, verstärken den Eindruck von Schönheit und Sinnlichkeit.

Im zweiten Teil des Gedichts wird die Idylle jedoch durch eine leicht beunruhigende Note ergänzt. Die Najade warnt vor dem Triton, einer Meeresgottheit, die in der Tiefe schläft. Die Anweisungen, die sie den Wellen gibt, deuten auf eine vorsichtige, fast heimliche Bewegung hin, die eine gewisse Spannung erzeugt. Diese Szene unterstreicht die verborgenen Gefahren und Geheimnisse der Meereswelt, die unter der ruhigen Oberfläche lauern.

Der dritte Teil des Gedichts führt das Motiv der Liebe ein. Die Najade vergleicht die Bewegung der Wellen mit dem sanften Rudern eines Liebenden und der Nacht. Das „flimmernde Licht“ in der Kammer und die „kiesel“ die nicht knistern, erzeugt eine weitere Ebene der Intimität und des Geheimnisses. Die Szene deutet auf ein Stelldichein hin, das von der Natur geschützt und bewahrt wird. Schließlich endet das Gedicht mit dem Erwachen des Erzählers, der sich fragt, wo er sich befindet. Das Verschwimmen zwischen Traum und Realität verdeutlicht die suggestive Kraft des Gedichts. Das Bild von der Sonne, die sich im Meer spiegelt, erzeugt eine weitere sinnliche Ebene. Die letzten Verse, in denen der Erzähler aufwacht und das Gedicht in der Realität findet, unterstreichen die Vergänglichkeit und die flüchtige Schönheit des Traums.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.