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Die Liebesthat

Von

Dürftig das Dörfchen, dürftig das Feld,
ein einsamer Baum drauf Wache hält.

Nie hielten sich Zwei in seinem Schatten umpreßt,
nie baute ein Vöglein bei ihm sein Nest.

Auf steinigem Grund lag die Wurzel krank
und wußte dem Dasein wenig Dank.

Es zogen Lenze auf Lenze vorbei,
doch den kranken Baum verschönte kein Mai.

Das bläßliche Haupt zur Erde gesenkt,
glich er dem Bettler, der an sein Elend denkt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Da, eines Abends wars zur Frühlingszeit,
kam langsam übern Weg ein junger Mensch,
mit Augen weit und voller Herrlichkeit.

Er sah das öde Feld, den Baum, den kranken,
die Zweige, die so ärmlich dürr und nackt,
und sann, von einem strahlenden Gedanken,
von einer göttlichen Idee gepackt.
Der Baum sah still den Mann vorübergehen.

Und einmal nahten viele, viele Menschen,
und drängten heimlich staunend sich um ihn,
als wär ein hohes Wunder hier geschehen.

Und rührige Hände spendeten ihm Trank,
und lockerten das Erdreich um ihn her,
und gruben, hackten, bis er glatt und schlank.

Der Baum, erschüttert bis ins tiefste Mark,
sah selig staunend diese fremden Gäste,
er fühlte Sich mit einemmale stark,
und streckte, dehnte seine hagern Äste.

Vor Freude ward er blühend …
Eines Morgens
erlebte er das schönste Frühlingsfest:
Zwei Vöglein drangen in sein dichtes Laub,
und bauten sich an seiner Brust ihr Nest.

Weit in die Winde seine Flocken streuend,
daß alle, die ihn sahn, vor Freude lachten,
besann er sich: wie ward mir solches Heil,
mir, dem Verkümmerten, mir, dem Verachten?

Ein heilig Dichterauge, weich und stolz,
hat dich erblickt und Wunder sprießen lassen,
o Baum, aus deinem halbverdorrten Holz!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Liebesthat von Maria Janitschek

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Liebesthat“ von Maria Janitschek beschreibt die Metamorphose eines einsamen, kranken Baumes durch die liebevolle Zuwendung eines Menschen. Das Gedicht beginnt mit einer trostlosen Szenerie: einem kargen Dorf, einem einsamen Feld und einem kranken Baum, der als Sinnbild für Elend und Hoffnungslosigkeit dient. Die Natur, die normalerweise durch Frühling und Blüte Schönheit und Leben verheißt, scheint hier untätig. Die wiederholten negativen Beschreibungen verstärken das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Isolation des Baumes und seines Umfelds.

Die Ankunft des jungen Menschen markiert einen Wendepunkt. Er wird von einer „göttlichen Idee“ erfasst und initiiert eine Transformation des Baumes. Dies geschieht durch eine gemeinschaftliche Anstrengung, durch das Teilen von „Trank“ und die Bearbeitung des Bodens. Diese Handlungen sind nicht nur physischer Natur, sondern auch symbolisch für die Zuwendung, die dem Baum Leben und Kraft zurückgibt. Die Anspielung auf ein „hohes Wunder“ unterstreicht die transformative Kraft der Liebe und des Engagements. Die Beschreibung des Baumes als „erschüttert bis ins tiefste Mark“ lässt die Tiefe der Veränderung erahnen.

Der Baum, der sich zunächst in einem Zustand des Verfalls befand, erwacht durch die Zuwendung zu neuem Leben. Er „streckt, dehnt seine hagern Äste“ und wird blühend. Das Gedicht kulminiert in der Geburt eines Nestes und somit der Aufnahme von Leben, was die Erneuerung des Baumes und das Finden von Freude und Hoffnung symbolisiert. Die letzten Zeilen, die die Rolle eines Dichters hervorheben, deuten darauf hin, dass die Transformation durch eine Vision, durch die Kraft der Kunst und der Schönheit, ermöglicht wurde. Dies deutet auf eine tiefere spirituelle Ebene der Geschichte hin, in der die Liebe und die Wahrnehmung des Schönen eine heilende und erlösende Wirkung haben.

Die „Liebesthat“ besteht in der radikalen Veränderung durch die Zuwendung und die Wertschätzung eines anderen Wesens. Die Geschichte ist eine Allegorie auf die transformative Kraft der Liebe und des Mitgefühls. Der Baum, der im Elend gefangen war, wird durch die Liebe und die Bemühungen des Menschen gerettet. Die Geschichte vermittelt die Botschaft, dass Liebe und Fürsorge selbst in den trostlosesten Umgebungen Wunder vollbringen können und dass die Wertschätzung der Schönheit ein kraftvolles Mittel zur Heilung ist. Die Vögel, die in den Baum ziehen, symbolisieren neues Leben und die Fruchtbarkeit der wiedergewonnenen Kraft.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.