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Die Eule

Von

Ich weiß, o Eule, weshalb
Die Menschen dich so hassen.
Sie nennen dich die Feindin
Des Tagelichts, der Sonne.
Ich hörte nie dich singen;
Vielleicht ist dein Gesang nicht
So lieblich wie die Stimme
Von hundert andern Vögeln;
Doch glaub′ ich, daß die Menschen
Aus Haß Geheul ihn nennen.
Sie sind dir gram, weil du dir
Die Einsamkeit erwähltest,
Und noch viel mehr die Nächte
Mit ihrem Mond′ und ihrem
Zahllosen Sternenheere
Du liebest als die Sonne,
Die dich mit ihren Strahlen
Verblendet. Doch ich denke
Nicht schlecht von dir deswegen.
Auch ich zieh′ dem Geräusche
Die Einsamkeit, und Mondschein
Und Sternenglanz der Sonne
Oft vor. Sie haben eine
Zum Herzen geh′nde Sprache,
Die dem lärmvollen Tag fehlt.
Du wohnest in den Trümmern
Zerfallener Gebäude.
Bist du nicht, liebe Eule,
Vielleicht der Burggeist, welcher
Gern an den Stellen weilet,
Die lebend er bewohnte,
Wo er so manche Freude,
Und manches Leiden fühlte,
Die beide ihm die Trümmer
Des frühern Aufenthaltes
Noch theuer machen? alle
Erinnerungen früh′rer
Bewegungsvoller Tage
Umstehen dich. Ja, Eule,
So wird es sein: denn etwas
Ganz Eigenes, ja etwas
Geheimnißvolles lieget
In deinem gar zu hellen
Und gar zu scharfen Blicke.

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Gedicht: Die Eule von Elisabeth Kulmann

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Eule“ von Elisabeth Kulmann ist eine einfühlsame und differenzierte Auseinandersetzung mit der menschlichen Wahrnehmung und dem vermeintlichen Wesen der Eule. Das lyrische Ich, das sich an die Eule wendet, hinterfragt die Gründe für die Ablehnung, die ihr von den Menschen entgegengebracht wird. Es ist ein Plädoyer für das Verständnis des Andersartigen und eine Würdigung der Stille und der Nacht, die die Eule bevorzugt.

Der erste Teil des Gedichts, in dem das lyrische Ich die Eule direkt anspricht, beschäftigt sich mit der Kritik, die die Menschen an ihr üben. Sie wird als „Feindin des Tagelichts“ bezeichnet, ihre Stimme als unlieblich empfunden und ihr Verhalten als Anlass für Hass gedeutet. Das lyrische Ich hinterfragt diese Vorurteile und vermutet, dass die Ablehnung auf der Abneigung der Menschen gegenüber der Einsamkeit und der Nacht beruht. Die Eule verkörpert das Anderssein, die Abkehr vom Lärm und der Geschäftigkeit des Tages. Das lyrische Ich setzt sich mit diesen Zuschreibungen auseinander und sucht nach einer tieferen Bedeutung.

Im zweiten Teil des Gedichts erfährt die Wertschätzung der Eule eine tiefere Ebene, indem das lyrische Ich seine eigenen Präferenzen für Einsamkeit und die Schönheit von Mondlicht und Sternenglanz offenbart. Es bekennt sich zur Sehnsucht nach einer Sprache, die dem lauten Tag fehlt, und verbindet diese Sehnsucht mit der Wahl der Eule. Die Eule wird so zum Symbol für eine Welt, die abseits des Mainstreams liegt und in der das Geheimnisvolle und die Erinnerung an Vergangenes eine Rolle spielen.

Der Schlussteil des Gedichts wendet sich einer poetischen Spekulation zu. Das lyrische Ich interpretiert die Eule als „Burggeist“, der an den Orten verweilt, wo er einst lebte. Diese Interpretation verleiht der Eule eine weitere Dimension, die sie zu einer Hüterin der Erinnerung und des Verlorenen macht. Der „helle“ und „scharfe Blick“ der Eule wird als Ausdruck eines „Geheimnisvollen“ verstanden, das eine tiefe Verbundenheit mit der Vergangenheit und der Seele des Ortes impliziert. Damit wird die Eule zu einem Symbol für die Poesie selbst – eine Kunstform, die das Unsichtbare sichtbar macht und das Gefühl der Ewigkeit vermittelt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.