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Die Elemente

Von

Der Morgen, der Jäger

Wo die Felsenlager stehen,
Sich des Schnees Daunen blähen,
Auf des Chimborasso Höhen
Ist der junge Strahl erwacht;
Regt und dehnt die ros′gen Glieder,
Schüttelt dann sein Goldgefieder,
Mit dem Flimmerauge nieder
Blinzt er in des Tales Schacht.
Hörst du, wie es fällt und steigt?
Fühlst du, wie es um dich streicht?
Dringt zu dir im weichen Duft
Nicht der Himmelsodem — Luft?

Ins frische Land der Jäger tritt:
»Gegrüßt du fröhlicher Morgen!
»Gegrüßt du Sonn′, mit dem leichten Schritt
Wir Beiden ziehn ohne Sorgen.
Und dreimal′ gegrüßt mein Geselle Wind,
Der stets mir wandelt zur Seite,
Im Walde flüstert durch Blätter lind,
Zur Höh′ gibt springend Geleite.
Und hat die Gems, das listige Tier,
Mich verlockt in ihr zackiges Felsrevier,
Wie sind wir drei dann so ganz allein,
Du, Luft, und ich und der uralte Stein!«

Der Mittag, der Fischer

Alles still ringsum —
Die Zweige ruhen, die Vögel sind stumm.
Wie ein Schiff, das im vollen Gewässer brennt,
Und das die Windsbraut jagt,
So durch den Azur die Sonne rennt
Und immer flammender tagt.

Natur schläft — ihr Odem steht,
Ihre grünen Locken hangen schwer,
Nur auf und nieder ihr Pulsschlag geht
Ungehemmt im heiligen Meer.
Jedes Räupchen sucht des Blattes Hülle,
Jeden Käfer nimmt sein Grübchen auf;
Nur das Meer liegt frei in seiner Fülle
Und blickt zum Firmament hinauf.

In der Bucht wiegt ein Kahn,
Ausgestreckt der Fischer drin,
Und die lange Wasserbahn
Schaut er träumend überhin.
Neben ihm die Zweige hängen,
Unter ihm die Wellchen drängen,
Plätschernd in der blauen Flut
Schaukelt seine heiße Hand:

»Wasser«, spricht er, »Welle gut,
Hauchst so kühlig an den Strand.
Du, der Erde köstlich Blut,
Meinem Blute nah verwandt,
Sendest deine blanken Wellen,
Die jetzt kosend um mich schwellen,
Durch der Mutter weites Reich,
Börnlein, Strom und glatter Teich,
Und an meiner Hütte gleich
Schlürf′ ich dein geläutert Gut,
Und du wirst mein eignes Blut,
Liebe Welle, heil′ge Flut!« —
Leiser plätschernd schläft er ein
Und das Meer wirft seinen Schein
Um Gebirg und Feld und Hain;
Und das Meer zieht seine Bahn
Um die Welt und um den Kahn.

Der Abend, der Gärtner

Rötliche Flöckchen ziehen
Über die Berge fort,
Und wie Purpurgewänder
Und wie farbige Bänder
Flattert es hier und dort
in der steigenden Dämmrung Hort.

Gleich einem Königsgarten,
Den verlassen die Fürstin hoch —
Nur in der Kühle ergehen
Und um die Beete sich drehen
Flüsternd ein paar Hoffräulein noch.

Da des Himmels Vorhang sinkt,
Öffnet sich der Erde Brust;
Leise, leise Kräutlein trinkt
Und entschlummert unbewußt;
Und sein furchtsam Wächterlein,
Würmchen mit dem grünen Schein,
Zündet an dem Glühholz sein
Leuchtchen klein.

Der Gärtner, über die Blumen gebeugt,
Spürt an der Sohle den Tau,
Gleich vom nächsten Halme er streicht
Lächelnd die Tropfen lau;
Geht noch einmal entlang den Wall,
Prüft jede Knospe genau und gut:
»Schlaft denn«, spricht er, »ihr Kindlein all,
Schlafet! ich lass′ euch der Mutter Hut;

Liebe Erde, mir sind die Wimpern schwer,
Hab′ die letzte Nacht durchwacht,
Breit′ wohl deinen Taumantel um sie her,
Nimm wohl mir die Kleinen in acht. «

Die Nacht, der Hammerschmied

Dunkel! All Dunkel schwer!
Wie Riesen schreiten Wolken her —
Über Gras und Laub
Wirbelt′s wie schwarzer Staub;
Hier und dort ein grauer Stamm,
Am Horizont des Berges Kamm
Hält die gespenstige Wacht,
Sonst alles Nacht — Nacht — nur Nacht.

Was blitzt dort auf? — ein roter Stern —
Nun scheint es nah, nun wieder fern;
Schau! wie es zuckt und zuckt und schweift,
Wie′s ringelnd gleich der Schlange pfeift.
Nun am Gemäuer klimmt es auf,
Unwillig wirft′s die Asch′ hinauf,
Und wirbelnd überm Dach hervor
Die Funkensäule steigt empor.

Und dort der Mann im ruß′gen Kleid,
— Sein Angesicht ist bleich und kalt,
Ein Bild der listigen Gewalt —
Wie er die Flamme dämpft und facht
Und hält den Eisenblock bereit!
Den soll ihm die gefangne Macht,
Die wilde hartbezähmte Glut
Zermalmen gleich in ihrer Wut.

Schau, wie das Feuer sich zersplittert!
Wie′s tückisch an der Kohle knittert!
Lang aus die rote Kralle streckt
Und nach dem Kerkermeister reckt!
Wie′s vor verhaltnem Grimme zittert:

»O hätt′ ich dich, o könnte ich
Mit meinen Klauen fassen dich!
Ich lehrte dich den Unterschied
Von dir zu Elementes Zier,
An deinem morschen, staub′gen Glied,
Du ruchlos Menschentier!«

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Gedicht: Die Elemente von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Elemente“ von Annette von Droste-Hülshoff ist eine vielschichtige Auseinandersetzung mit den vier Elementen, die durch Personifikationen, die den Tag überlagern, erfahrbar gemacht werden. Es teilt sich in vier Abschnitte auf, die jeweils einem Element und einem Moment des Tages gewidmet sind: Morgen (Luft), Mittag (Wasser), Abend (Erde) und Nacht (Feuer). Durch diese Struktur verleiht die Autorin den Elementen eine menschliche Präsenz und ermöglicht so eine tiefere, sinnlichere Erfahrung der Natur. Die Bilder und die darin enthaltenen Emotionen, wie Freude, Ruhe, Geborgenheit und Zorn, ziehen den Leser in einen Kreislauf aus Beobachtung und Empfindung.

Der Morgen, personifiziert als Jäger, verkörpert die lebendige, dynamische Natur der Luft. Die Verse beschreiben den Aufbruch des Tages und die Anziehungskraft der Natur, die der Jäger genießt. Der Jäger fühlt sich verbunden mit Wind und Stein, während er die Natur erkundet. Dies spiegelt die Leichtigkeit und Freiheit wider, die mit der Luft verbunden sind. Die lebendige Sprache und die detailreichen Beschreibungen erwecken ein Gefühl von Freude und Entdeckung. Der Jäger steht im Einklang mit den Elementen und erlebt die Schönheit der Natur mit all seinen Sinnen.

Der Mittag, personifiziert als Fischer, stellt die Stille und Ruhe des Wassers dar. Die Sonne steht hoch am Himmel, die Natur scheint zu ruhen, und das Wasser spiegelt die Stille wider. Der Fischer, eingebettet in die friedliche Umgebung, sinniert über die Beziehung zwischen dem Wasser und dem Leben, seinem eigenen Blut. Es ist ein Moment der Kontemplation und des Einklangs mit der Natur. Die sanfte Sprache und die fließenden Bilder vermitteln ein Gefühl von Harmonie und Ruhe, das mit dem Element Wasser assoziiert wird. Der Fischer schläft ein, als die Natur sich ausdehnt.

Der Abend, dargestellt als Gärtner, symbolisiert die Geborgenheit und Fruchtbarkeit der Erde. Die Szenerie ist von einer sanften Atmosphäre geprägt, in der die Natur zur Ruhe kommt. Der Gärtner kümmert sich um die Blumen und bittet die Erde, sie in ihre Obhut zu nehmen. Der Übergang zur Nacht wird durch die Farben des Himmels und die Aktivitäten der kleinen Kreaturen, wie dem Würmchen, das sein Licht entzündet, angedeutet. Es ist ein Moment der Fürsorge, der Ruhe und der Hoffnung, der mit dem Element Erde verbunden ist.

Die Nacht, personifiziert als Hammerschmied, stellt das Element Feuer und seine zerstörerische Kraft dar. In der Dunkelheit herrscht eine bedrohliche Atmosphäre, geprägt von flackerndem Feuer und dem Zorn des Schmieds. Der Schmied, ein Bild der listigen Gewalt, kämpft mit der Flamme, die sich als wild und ungezähmt erweist. Das Gedicht gipfelt in einem Ausbruch von Wut und Verzweiflung. Die dunkle Sprache und die starken Bilder vermitteln ein Gefühl von Gefahr, Zorn und der unbändigen Kraft des Feuers. Dies ist die andere Seite der Natur, die Gewalt und Zerstörung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.