Die Braut
Ruf mich, Geliebter, ruf mich laut!
Laß deine Braut nicht so lange am Fenster stehn.
In den alten Platanenalleen
wacht der Abend nicht mehr:
sie sind leer.
Und kommst du mich nicht in das nächtliche Haus
mit deiner Stimme verschließen,
so muß ich mich aus meinen Händen hinaus
in die Gärten des Dunkelblaus
ergießen…
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Braut“ von Rainer Maria Rilke ist eine eindringliche Bitte nach Zuneigung und Nähe, eingebettet in eine melancholische Abendstimmung. Es offenbart die Sehnsucht nach Erfüllung und die Angst vor Einsamkeit, die in der wartenden Braut Gestalt annimmt. Die wenigen, aber kraftvollen Verse erzeugen eine beklemmende Atmosphäre der Leere und des Wartens.
Der zentrale Appell „Ruf mich, Geliebter, ruf mich laut!“ unterstreicht das dringende Bedürfnis nach Bestätigung und dem Gefühl des Geborgenseins. Die Braut fleht ihren Geliebten an, sie aus der Isolation zu erlösen. Die Umgebung, in der sie sich befindet, wird durch die leeren „alten Platanenalleen“ und den Abwesenheits des Abends, die durch die Metapher des „Wachens“ personifiziert ist, als trostlos und verlassen dargestellt. Diese Naturbilder verstärken die Einsamkeit der wartenden Frau.
Die Bedrohung der Einsamkeit wird in der zweiten Strophe noch deutlicher. Die Zeilen „so muß ich mich aus meinen Händen hinaus / in die Gärten des Dunkelblaus / ergießen…“ deuten auf einen drohenden Verlust der Kontrolle hin. Die Metapher des „Ergießens“ suggeriert einen Auflösungsprozess, eine Auflösung der eigenen Identität in die Dunkelheit. Dies unterstreicht die Verzweiflung der Braut und ihre Abhängigkeit von der Anwesenheit ihres Geliebten.
Rilke nutzt eine klare, direkte Sprache, die die Emotionen der Braut unmittelbar erfahrbar macht. Die Wiederholung des Appells und die sparsame Verwendung von Adjektiven tragen zur Intensität des Gedichts bei. Das Fehlen von konkreten Details lenkt den Fokus auf die universelle Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit. Das Gedicht wird zu einem ergreifenden Zeugnis menschlicher Verletzlichkeit und dem tiefen Bedürfnis nach Verbindung.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.