Schöne Junitage
Mitternacht, die Gärten lauschen,
Flüsterwort und Liebeskuß,
Bis der letzte Klang verklungen,
Weil nun alles schlafen muß –
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.
Sonnengrüner Rosengarten,
Sonnenweiße Stromesflut,
Sonnenstiller Morgenfriede,
Der auf Baum und Beeten ruht –
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.
Straßentreiben, fern, verworren,
Reicher Mann und Bettelkind,
Myrtenkränze, Leichenzüge,
Tausendfältig Leben rinnt –
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.
Langsam graut der Abend nieder,
Milde wird die harte Welt,
Und das Herz macht seinen Frieden,
Und zum Kinde wird der Held –
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Schöne Junitage“ von Detlev von Liliencron vermittelt eine ruhige, beinahe meditative Stimmung, die sich über verschiedene Tageszeiten und Lebensphasen hinweg erstreckt. Die Nacht wird zu einem Ort der Intimität und des Rückzugs, in dem die „Gärten lauschen“ und „Flüsterwort und Liebeskuß“ die letzten Töne des Tages begleiten. Die wiederholte Erwähnung der Nachtigall, die „flussüberwärts singt“, fungiert dabei als ein zentrales Bild für die Unveränderlichkeit der Natur und die durchgängige Präsenz von Schönheit und Harmonie, die den Menschen auch in den ruhigsten Momenten begleiten.
Im zweiten Teil des Gedichts wird das Bild des „sonnengrünen Rosengartens“ mit einer Welt des Friedens und der Ruhe verbunden. Der „Sonnenweiße Strom“ und der „Morgenfriede“ deuten auf eine Zeit des Neubeginns hin, in der alles in der Natur und im Menschen zur Ruhe kommt. Diese Darstellung der ersten Morgenstunden steht im starken Kontrast zur hektischen Welt des vorherigen Abends, die noch von „Straßentreiben“ und den sozialen Gegensätzen zwischen „reicher Mann und Bettelkind“ geprägt ist. Das Gedicht stellt die Natur als einen Ort dar, der den inneren Frieden bewahrt, während das alltägliche Leben in seiner Vielschichtigkeit weitergeht.
Die dritte Strophe, in der das „Straßentreiben“ und die Gegensätze des Lebens thematisiert werden, hebt die Komplexität und Vielfalt des menschlichen Lebens hervor. Es wird ein Bild von einer Welt gezeichnet, die von „Myrtenkränzen“ bis „Leichenzügen“ reicht – eine Welt voller Höhen und Tiefen, in der das Leben in seiner Vielfalt kontinuierlich fließt. Doch die Nachtigall, die immer wieder in den Versen singt, bleibt als ein ständiger Begleiter der natürlichen Ordnung bestehen und hebt sich als Symbol der Kontinuität und Schönheit ab, die trotz der turbulenten Welt um sie herum immer präsent bleibt.
Im letzten Abschnitt des Gedichts wird die Welt allmählich „mild“ und „ruhig“, und es wird angedeutet, dass sowohl das „Herz“ als auch der „Held“ ihren Frieden finden. Die Transformation des „Helden“ zu einem „Kinde“ symbolisiert eine Rückkehr zur Unschuld und zu den einfachen Werten des Lebens. Der graue Abend, der in die Nacht übergeht, bietet Raum für Reflexion und inneren Frieden, was durch das wiederholte Bild der Nachtigall unterstrichen wird. Liliencron schließt das Gedicht mit der Erkenntnis, dass inmitten der Vielfalt des Lebens und seiner Herausforderungen die Natur und ihre einfache Schönheit eine bleibende Quelle des Trostes und der Inspiration darstellen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.