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Goethe und der Affe

Von

Ich fand auf einem Postament
Einen Menschen, der sich Goethe nennt.
Die Büste des Dichters, und nebenan,
Auf demselben Gestell, hockt ein Pavian
Aus Bronze, Thon, ich weiß nicht mehr,
Ein Götzenbild, von den Tropen her,
Wo ihn ein Seemann erstanden mag haben,
Der ihn vielleicht mal seinen Knaben
Mitgebracht zum Scherz, als Spiel,
Bis ein Zufall dem Äffchen ein Ziel
Neben dem großen Poeten gegeben,
Wie sich so Zufall und Schicksal verweben.

Der Affe, mit einer der Vorderpfoten,
Hat auf den Lippen sich Stille geboten,
Sich? oder gilt, das Maul zu halten
Dem klar und herrisch blickenden Alten?
Das Symbol der Vorsicht! Ich glaube sogar,
Der weimarische gewaltige Zar
Hat’s gut verstanden und schmerzlich empfunden,
Daß er sich nicht hat unumwunden
Geben dürfen, er kannte die Welt!

Denn was er auch schrieb: durch all seinen Schimmer
„Laß nie dich erraten“, hör‘ ich ihn immer,
„Kennt man dich ganz, so verlierst du“, paß auf,
„Alle Bedeutung“ im irdischen Lauf.
So sollen Affe und Goethe uns zeigen:
Des Lebens beste Vorsicht heißt Schweigen.

Und doch, und doch, hätte Goethe geschwiegen,
Hätt‘ er sich nie die Lippen verbrannt,
Er wär‘ nicht die goldenen Stufen gestiegen,
Mit leuchtenden Spuren herabgestiegen
In unser nüchternes Schulmeisterland.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Goethe und der Affe von Detlev von Liliencron

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Goethe und der Affe“ von Detlev von Liliencron setzt sich humorvoll und zugleich nachdenklich mit der Verbindung von Goethe, einem der bedeutendsten Dichter der deutschen Literatur, und einem ungleichen Begleiter, einem Pavian, auseinander. Die Darstellung Goethes als Büste auf einem Postament und die beiläufige Platzierung des Affen daneben schafft eine interessante und etwas ironische Perspektive. Der Affe, ein „Götzenbild“ aus den Tropen, erscheint als eine Art kurioser Kontrast zu der ernsthaften und ehrwürdigen Darstellung Goethes. Diese Kombination von Gegensätzen stellt die Frage nach Bedeutung und Interpretation und spiegelt eine gewisse Ironie wider.

Das Bild des Affen, der mit einer Vorderpfote auf seinen Lippen die Stille gebietet, wird als Symbol für Vorsicht und Schweigen gedeutet. In dieser Szene begegnet der Affe einem „klar und herrisch blickenden Alten“, der als Goethe verstanden wird, und der Affe scheint ihn in seiner Haltung zu unterstützen oder zu warnen. Liliencron spielt hier auf die Vorstellung an, dass Schweigen und Zurückhaltung in der Welt der großen Denker und Künstler oft eine tiefere Weisheit und Vorsicht repräsentieren. Goethe, als „weimarischer Zar“, hatte in seiner langen Karriere sicherlich oft die Bedeutung des Schweigens erkannt, besonders in einer Welt, in der jedes Wort von Bedeutung war und zum Missverständnis führen konnte.

Der Vers „Laß nie dich erraten“, der die Aussage von Goethe widerspiegeln soll, unterstreicht die Idee, dass wahre Bedeutung nur dann erhalten bleibt, wenn man sich nicht vollständig offenbart. Liliencron deutet an, dass Goethe durch seine Klugheit und seine Zurückhaltung in seinen Äußerungen seine Bedeutung und seinen Platz in der Geschichte gesichert hat. Der Affe, der als Symbol für diese „Vorsicht“ fungiert, wird zum Spiegelbild Goethes, und das Schweigen wird als eine der größten Tugenden im Leben des Dichters hervorgehoben.

Am Ende des Gedichts wird jedoch ein gewisser Widerspruch sichtbar. Liliencron stellt die Hypothese auf, dass Goethe, hätte er sich immer an die Weisheit des Schweigens gehalten, nicht den Weg des Ruhms und der Unsterblichkeit erklommen wäre. Die „goldenen Stufen“ und „leuchtenden Spuren“, die er hinterließ, sind das Ergebnis von mutigen, vielleicht auch fehlerhaften Äußerungen und Taten. Die Spannung zwischen Schweigen und Offenheit, zwischen Vorsicht und Ausdruck wird zu einem zentralen Thema des Gedichts, das die Rolle von Goethe als öffentlichen Denker und Künstler in der Gesellschaft reflektiert. Liliencron zeigt, dass es in der Welt der großen Persönlichkeiten oft genau diese Balance zwischen Zurückhaltung und öffentlichem Auftreten ist, die über den Erfolg und die Bedeutung entscheidet.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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