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Festnacht und Frühgang

Von

Schleifende Schleppen und schurrende Schuhe,
Wie sie auf spiegelnder Glätte sich drehn,
Flatternder Schnurrbart und fliegende Schöße,
Wie sie vorüber den Ballmüttern wehn.
Unter kristallenen Kronen und Kerzen
Schlagen die Schläfen und hämmern die Herzen,
Schimmert der Nacken Geleucht im Gewirre,
Funkelt der Steine Geflacker, Geflirre.
Hinter den Tanzenden her wie die Häscher,
Leicht wie die Falter, die Rosentaunäscher,
Folgen verkappt Amoretten dem Flor.
Hörner und Harfen und Flöten und Geigen
Fachen die Flammen im lodernden Reigen
Höher empor.

König der Tänze in Schlössern und Scheunen,
Trübsalverdränger auf Lehm und Parkett,
Prinz und Plebejer, Student und Philister,
Bürger und Bauer, Zivil, Epaulette,
Alle, sie alle sind von dir begeistert,
Hast du voll Schwung ihren Schlender gemeistert,
Alle sind trunken auf wohligsten Bahnen,
Zeigt die Musik deine lustigen Fahnen.
Aber die Huldinnen erst auf der Erden
Können nicht glücklicher, sehnender werden,
Treibst du sie an immerzu, immerzu.
König der Tänze dem Höchsten, Geringsten,
Sommers, am Herbsttag, im Winter, zu Pfingsten,
Walzer, bist du.

Und mit dem schönsten, dem fröhlichsten Mädchen
Walz ich heut abend zum andern Mal schon,
Eben erst traf sie mein leuchtendes Auge,
Und meine Seele hob hoch sie zu Thron.
Aus der Umgürtelung enger Verkettung
Laß ich nicht locker, hier ist keine Rettung,
Und ich verspüre so holdes Entzücken,
Muß ihr das Händchen ganz sanftiglich drücken.
Bin ich im Himmel, ich fühl ihre Finger
Zärtlicher spannen, die Seligkeitsbringer,
Und meine Liebe nimmt stürmisch Besitz.
Als ich mich endlich am Platz ihr verbeuge,
Schlug aus den Wimpern ihr, bündiger Zeuge,
Zündender Blitz.

Kehraus und Ende, der Braus ist vorüber,
Und es entleert sich allmählich der Saal,
Letztes Gutnacht, Durcheinander und Trinkgeld
Schon in Kapuzen und Mänteln und Shawl.
Schläfrige Kutscher, die gähnend sich recken,
Rasch von den Pferden gezogene Decken,
Licht und Laternen und Räumen und Rufen,
Niederwärtssteigen auf marmornen Stufen.
Nur meine Tänzerin fand nicht den Wagen,
Hab ich ihr gleich meinen Schutz angetragen,
Hüllte sie ein in den leichtesten Pelz.
Ach, das Figürchen im Zobel zu schauen,
Sonniger Maitag im Gletschertrachtgrauen,
Jugend und Schmelz.

Wir wandern durch die stumme Nacht,
Der Tamtam ist verklungen,
Du schmiegst an meine Brust dich an,
Ich halte dich umschlungen.

Und wo die dunklen Ypern stehn,
Ernst wie ein schwarz Gerüste,
Da fand ich deinen kleinen Mund,
Die rote Perlenküste.

Und langsam sind wir weiter dann,
Weiß ich’s, wohin gegangen.
Ein hellblau Band im Morgen hing,
Der Tag hat angefangen.

Um Ostern war’s, der Frühling will
Den letzten Frost entthronen,
Du pflücktest einen Kranz für mich
Von weißen Anemonen.

Den legtest du mir um die Stirn,
Die Sonne kam gezogen
Und hat dir blendend um dein Haupt
Ein Diadem gebogen.

Du lehntest dich auf meinen Arm,
Wir träumten ohn‘ Ermessen.
Die Menschen all im Lärm der Welt,
Die hatten wir vergessen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Festnacht und Frühgang von Detlev von Liliencron

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Festnacht und Frühgang“ von Detlev von Liliencron ist ein kunstvoll komponierter Lobgesang auf den Tanz, insbesondere den Walzer, und zugleich eine zarte Liebesgeschichte, die sich aus der flüchtigen Magie eines festlichen Abends heraus entwickelt. In drei Abschnitten schildert Liliencron zunächst die rauschhafte Atmosphäre eines Balls, dann das persönliche Erleben eines Walzers mit einer Unbekannten und schließlich die intime Nachtszene zweier Menschen, die einander näherkommen, als das Fest schon verklungen ist.

Die erste Strophe entfaltet ein prunkvolles, fast barockes Bild des Balles. Die Sprache ist überladen mit Sinneseindrücken: Schleifen, Flattern, Funkeln und Flackern – alles ist in Bewegung, alles vibriert. Das Gedicht greift tief in die poetische Bilderkiste, um die Ekstase und sinnliche Überwältigung des Tanzes einzufangen. Amoretten, Hörner, Harfen – ein beinahe mythologischer Ton mischt sich ein und erhebt das Fest zu einem überzeitlichen, fast rituellen Erlebnis.

Im zweiten Abschnitt wendet sich das Gedicht vom Allgemeinen ins Persönliche. Das lyrische Ich erlebt den Tanz mit einer bestimmten Frau – eine Begegnung, die von Anfang an von intensiver Faszination geprägt ist. Der Walzer wird hier zum Medium einer sich anbahnenden Liebe: Das Händchen wird gedrückt, die Finger spannen sich „zärtlicher“, ein Blick wird zum „zündenden Blitz“. Die Bewegung des Tanzes geht über in eine seelische Bewegung – die Liebe wird nicht nur tänzerisch, sondern auch emotional eingeleitet.

Mit dem dritten Teil beginnt der eigentliche „Frühgang“. Nach dem Ende des Festes, wenn Lichter gelöscht und Kutschen bestiegen werden, bleibt das Paar zusammen. In eleganter Bildsprache beschreibt Liliencron die intime, fast träumerische Wanderung durch die nächtliche Stadt. Die Szene ist von stiller Romantik getragen, von Zärtlichkeit und einer fast kindlich-unschuldigen Nähe. Das Pflücken der weißen Anemonen, der sich legende Blumenkranz, das Diadem aus Sonnenlicht – all das verleiht der jungen Frau eine märchenhafte Aura, fast eine Königswürde in einem stillen Reich jenseits der Lärmwelt.

„Festnacht und Frühgang“ ist damit mehr als nur die Beschreibung eines Ballabends – es ist eine Verwandlungsszene. Aus flüchtigem Glanz und gesellschaftlichem Trubel entsteht echte Nähe, aus Tanz wird Beziehung, aus Rausch wird Erinnerung. Liliencron verbindet gekonnt prachtvolle Außenwelt mit innerem Erleben, Eleganz mit Empfindsamkeit. Der Walzer, Symbol der Lebensfreude, führt nicht in den Taumel, sondern in eine stille, andächtige Verbundenheit zweier Menschen, die sich im Morgengrauen auf wunderbare Weise gefunden haben.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.