Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , ,

Der Schwebende

Von

Meine Jugend hängt um mich wie Schlaf.
Dickicht, Lichter – berieselt. Garten. Ein blitzender See.
Und drüber geweht die Wolken, die zögernden, leichten.

Irrlichternd spiele ich durch greise Straßen,
Und aus dem Qualmen toter Kellerfenster
Lacht dumpfe Qual im Krampfe zu mir auf.

Da heb’ ich meine lächelnd schmalen Hände
Und breite einen Schleier von Musik
Sehr süß und müde machend um mich aus.

Und meine Füße treten in den Garten,
Der Abend trank. Die Liebespaare, dunkel, tief, erglühend,
Stöhnen, verirrt ins Blut, auf vor der Qual des Mai.

Da schüttle ich mein weiches Haar im Winde,
Und rote Düfte reifer Sommerträume
Umwiegen meinen silberleichten Gang.

Blaß friert ein Fenster, angelehnt im Winde,
Draus heiser greller Schrei und Weinen singen
Um einen Toten auf der dunklen Fahrt.

Ich schließe meine Augen, schwere Wimpern,
Und sehe Ländereien grün vor Süden,
Und Fernen zärtlich weit für Träumereien.

Ein glänzend helles Kaffeehaus, voll Stimmen
Und voll Gebärden, lichtet sich, zerteilt.
An blanken Tischen sitzen meine Freunde.

Sie sprechen helle Worte in das Licht.
Und jeder spricht für sich und sagt es deutlich,
Und alle singen schwer im tiefen Chor:

Drei Worte, die ich nie begreifen werde,
Und die erhaben sind, voll Drang und Staunen,
Die dunkle Drei der: Hunger, Liebe, Tod.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Schwebende von Ernst Wilhelm Lotz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Schwebende“ von Ernst Wilhelm Lotz entwirft ein komplexes Bild jugendlicher Verunsicherung, verbunden mit dem Gefühl des Entrücktseins und der Auseinandersetzung mit den existenziellen Fragen des Lebens. Das lyrische Ich schwebt in einer Art Zwischenwelt, zwischen Erinnerungen an eine idyllische Vergangenheit und der Konfrontation mit den harten Realitäten von Tod, Liebe und Leid. Die Verwendung von Bildern wie „Schlaf“, „Dickicht“ und „Garten“ deutet auf eine Sehnsucht nach Geborgenheit und Ruhe hin, während die „Irrlichternd“-Passage und die „dumpfe Qual“ aus den Kellerfenstern auf eine innere Zerrissenheit und das Bewusstsein von Schmerz hindeuten.

Die zentralen Motive des Gedichts sind die Gegensätze von Leichtigkeit und Schwere, Leben und Tod. Das lyrische Ich bewegt sich zwischen der Beschwingtheit, die durch die „Musik“ und die „roten Düfte“ der Sommerträume erzeugt wird, und der Beklommenheit angesichts des Todes, symbolisiert durch den „Toten auf der dunklen Fahrt“ und die „dunkle Drei: Hunger, Liebe, Tod“. Das Ausbreiten eines „Schleiers von Musik“ und das „Schütteln des weichen Haares im Winde“ sind Versuche, eine Distanz zu den unangenehmen Erfahrungen zu schaffen und sich in eine Sphäre der Schönheit und des Glücks zu flüchten.

Der Kontrast zwischen der eigenen Welt und der der Freunde in dem „glänzend hellen Kaffeehaus“ verstärkt die Isolation des lyrischen Ichs. Während die Freunde in klaren Worten kommunizieren und scheinbar einen Sinn im Leben finden, kann das lyrische Ich die entscheidenden „drei Worte“, Hunger, Liebe, Tod, nicht begreifen. Dies deutet auf eine Kluft zwischen der rationalen und der emotionalen Welt hin. Das lyrische Ich ist in seiner eigenen Welt gefangen, unfähig, die elementaren Kräfte, die das menschliche Dasein bestimmen, vollständig zu erfassen.

Das Gedicht ist auch von einer tiefen Melancholie geprägt. Die „zögernden, leichten“ Wolken und die „zärtlich weiten“ Fernen erzeugen eine Atmosphäre der Sehnsucht und des Verlusts. Der „Schlaf“, der um das lyrische Ich hängt, könnte sowohl auf eine jugendliche Unbeschwertheit als auch auf eine allgemeine Orientierungslosigkeit hinweisen. Die Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit wird durch die Konfrontation mit den harten Realitäten des Lebens immer wieder gestört. Die Frage nach dem Sinn des Lebens und die Unfähigkeit, die wesentlichen Fragen zu beantworten, erzeugt eine tiefe Verzweiflung, die in der letzten Strophe ihren Höhepunkt findet.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.