Der Schlaf, unser Schlaf ist ausgestorben…
Der Schlaf, unser Schlaf ist ausgestorben,
Das Auge Gottes thront, rote Seidenschleier sein Lid.
Die Nachstellungen der Mandarinen schrecken uns nicht mehr.
Esel und Öchslein wohnen zu unseren Füßen im Bett
Und reden bequem wie zu Weihnachten in Bethlehem.
Der Graf von Agaz reitet auf einem Leilaken: o Greco!
Der Flügel eines Engels hängt rosenrot aus einer Wolke.
Mit grünem Gockelschopf trittst du auf in den Kabaretten.
Deine Kinderstirne, ist zahm vor mir.
Du bist ein Tüchlein aus Purpur.
Eine Gloriole von jungen Löwen ist um deinen Kopf.
Deine Lippen sind Schaufelräder des Lebens.
Die Gespenster der Messe rouge essen aus deiner Hand.
Bubu von Montparnasse und Jesus von Nazareth
Staunen ob deiner Inbrunst Fahnenversammlung.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Schlaf, unser Schlaf ist ausgestorben…“ von Hugo Ball ist ein surrealistisches Werk, das von einer Vielzahl von Bildern und Symbolen lebt, um eine Atmosphäre der Desorientierung und des Übergangs zu erzeugen. Die einleitenden Verse deuten auf einen Verlust des natürlichen Rhythmus, des Schlafs hin, und eine übernatürliche Präsenz, das „Auge Gottes“, das alles überblickt. Dieser Übergang von einer natürlichen zu einer übernatürlichen Welt wird durch die folgenden Zeilen weiter betont und schafft eine Atmosphäre der Isolation.
Das Gedicht zeichnet sich durch seine fragmentarische Struktur und seine Anspielungen auf verschiedene kulturelle und religiöse Elemente aus. Figuren wie der „Graf von Agaz“ und Jesus von Nazareth werden nebeneinander gestellt, wodurch Konventionen und Erwartungen untergraben werden. Die Bilder sind oft widersprüchlich und verstörend – „Esel und Öchslein wohnen zu unseren Füßen im Bett“ oder der „Flügel eines Engels hängt rosenrot aus einer Wolke“ – was die traditionelle Logik und das Verständnis der Realität in Frage stellt. Diese surreale Zusammenstellung dient dazu, eine Welt darzustellen, in der die Grenzen zwischen dem Profanen und dem Heiligen, dem Irdischen und dem Übernatürlichen verschwimmen.
Die Sprache des Gedichts ist reich an Metaphern und Symbolen, die auf eine tiefe emotionale und spirituelle Suche hindeuten. Die Verwendung von Farben, wie „rote Seidenschleier“ und „rosenrot“, trägt zur Intensität und zum visuellen Reichtum des Gedichts bei. Die „Gloriole von jungen Löwen“ um den Kopf einer Person könnte als Ausdruck von Stärke und Vitalität interpretiert werden, während die „Schaufelräder des Lebens“ die Lippen als Instrumente des Lebens und der Bewegung darstellen. Der Bezug auf „Gespenster der Messe rouge“ und die „Fahnenversammlung“ von Bubu von Montparnasse und Jesus von Nazareth suggerieren eine Versammlung von verschiedensten Charakteren und Einflüssen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Gedicht ein komplexes und vielschichtiges Werk ist, das sich der konventionellen Interpretation entzieht. Es ist ein Ausdruck der Moderne, das die Auflösung traditioneller Werte und die Suche nach einer neuen Identität in einer Welt des Wandels und der Unsicherheit widerspiegelt. Hugo Ball nutzt die Mittel des Surrealismus, um eine Welt zu erschaffen, die von Träumen, Visionen und der Zerstörung des Gewohnten geprägt ist, und lädt den Leser ein, sich auf eine Reise durch das Unbekannte und das Unbewusste zu begeben.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.