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Der Geschmack der Alten

Von

Ob wir, wir Neuern, vor den Alten
Den Vorzug des Geschmacks erhalten,
Was les′t ihr darum vieles nach,
Was der und jener Franze sprach?
Die Franzen sind die Leute nicht,
Aus welchen ein Orakel spricht.

Ich will ein neues Urteil wagen.
Geschmack und Witz, es frei zu sagen,
War bei den Alten allgemein.
Warum? sie tranken alle Wein.
Doch ihr Geschmack war noch nicht fein;
Warum? sie mischten Wasser drein.

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Gedicht: Der Geschmack der Alten von Gotthold Ephraim Lessing

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Geschmack der Alten“ von Gotthold Ephraim Lessing ist eine humorvolle Satire auf die Debatte zwischen den Anhängern der alten und neuen Geschmäcker. Es beginnt mit der Frage, ob die modernen Dichter und Kritiker einen Vorteil gegenüber den alten Dichtern und Denkern haben. Lessing verwirft sogleich die Meinungen französischer Kritiker, was ein Ausdruck des deutschen Selbstbewusstseins und der Abgrenzung von französischen literarischen Einflüssen seiner Zeit ist. Er stellt die gängige Meinung in Frage und bereitet den Boden für eine überraschende Wendung.

Im zweiten Teil des Gedichts gibt Lessing seine eigene, höchst originelle Erklärung ab. Er argumentiert, dass die Alten, im Gegensatz zur modernen Denkweise, einen gewissen „Geschmack und Witz“ besaßen, da sie alle Wein tranken. Die Pointe liegt darin, dass dieser „Geschmack“ nicht aus feiner Kunstfertigkeit, sondern aus der Mischung des Weins mit Wasser resultierte. Lessing nutzt hier eine Metapher, um die vermeintliche Einfachheit und mangelnde Raffinesse der Alten mit einem Augenzwinkern zu unterstreichen. Die „Mischung“ des Wassers mit dem Wein kann als Symbol für eine gewisse Unvollkommenheit oder einen Mangel an Verfeinerung verstanden werden, der jedoch mit einem gewissen Charme und einer ursprünglichen Qualität einhergeht.

Die Verwendung von Fragen und Antworten sowie die einfache Reimstruktur (AABBCC) tragen zur Leichtigkeit und Verständlichkeit des Gedichts bei. Lessing wählt eine eher umgangssprachliche Ausdrucksweise, die dem humorvollen Ton des Gedichts entspricht. Er vermeidet übertriebene Gelehrtheit und präsentiert seine Gedanken in einer direkten und unterhaltsamen Weise. Diese Einfachheit ist jedoch keineswegs ein Zeichen von mangelnder Tiefe, sondern unterstreicht die satirische Absicht, die alten und neuen Geschmäcker auf spielerische Art und Weise zu vergleichen.

Zusammenfassend ist „Der Geschmack der Alten“ ein gelungenes Beispiel für Lessings Fähigkeit, komplexe literarische Debatten auf humorvolle und zugängliche Weise zu verhandeln. Das Gedicht bietet eine amüsante Kritik an der Mode der Zeit, indem es die Frage nach dem „besseren Geschmack“ auf spielerische Weise beantwortet und letztendlich die vermeintliche Überlegenheit der alten und neuen Geschmäcker relativiert. Lessings Pointe erinnert daran, dass Geschmack und Witz nicht unbedingt mit perfekter Kunstfertigkeit einhergehen müssen, sondern auch durch eine gewisse Unvollkommenheit und Ursprünglichkeit geprägt sein können.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.