O Reize voll Verderben!
 Wir sehen euch, und sterben.
 O Augen, unser Grab!
 O Chloris, darf ich flehen?
 Dich sicher anzusehen,
 Laß erst den Flor herab!
Der Flor
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Flor“ von Gotthold Ephraim Lessing ist eine kurze, prägnante Liebeserklärung, die von der unbändigen Anziehungskraft und der Gefahr der Liebe handelt. Das Gedicht konzentriert sich auf die Faszination und das Verlangen, die von der geliebten Person ausgehen, und die gleichzeitig vorhandene Angst vor der Zerstörung durch diese Liebe. Der Titel „Der Flor“ (der Schleier) deutet bereits auf die zentrale Thematik der Verhüllung und Enthüllung hin, die im Gedicht thematisiert wird.
Die ersten beiden Verse etablieren die zentrale Dichotomie: „O Reize voll Verderben! / Wir sehen euch, und sterben.“ Hier wird die ambivalente Natur der Schönheit und der Anziehungskraft hervorgehoben. Die Reize sind sowohl unwiderstehlich als auch zerstörerisch. Das „Sterben“ deutet auf eine emotionale oder seelische Zerstörung hin, die durch die Liebe oder die Intensität der Gefühle verursacht wird. Es ist eine Form der Hingabe, die mit einem Verlust der Kontrolle einhergeht. Die nächsten beiden Verse verstärken diese These: „O Augen, unser Grab! / O Chloris, darf ich flehen?“. Die Augen der Geliebten, Chloris, werden zum Grab, was die Todessehnsucht und die Verschlingung mit der Geliebten verdeutlicht.
Der Bitten an Chloris, ihren Schleier zu lüften, bildet den zentralen Wunsch des lyrischen Ichs. „Dich sicher anzusehen, / Laß erst den Flor herab!“. Dieser Wunsch nach dem Herablassen des Schleiers ist mehr als nur ein Wunsch nach körperlicher Nähe; er symbolisiert den Wunsch nach Klarheit und dem Einblick in das wahre Wesen der Geliebten. Der Schleier verdeckt sowohl die Schönheit als auch die möglicherweise gefährliche Natur der Liebe. Die Bitte impliziert auch ein Verständnis der Risiken: erst wenn der Schleier gefallen ist, kann das lyrische Ich sicher vor der zerstörerischen Kraft der Schönheit sein.
Letztendlich ist das Gedicht ein Ausdruck der Zerrissenheit zwischen Verlangen und Angst. Es reflektiert die Sehnsucht nach der geliebten Person, gepaart mit der Erkenntnis der möglichen negativen Folgen dieser Liebe. Lessing fängt in diesem kurzen Gedicht das komplexe Gefühlsgeflecht der Liebe, die Spannung zwischen Anziehung und Gefahr und die Suche nach Klarheit und Sicherheit ein, was es zu einem intensiven und zeitlosen Gedicht über die menschlichen Emotionen macht. Die prägnante Sprache und die klare Struktur verstärken die Dichte der Emotionen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.
