An Salomon dem großen Weisen ging
Der ernste Todesengel sichtbarlich
Vorüber einst, und richtete den Blick
Auf einen Mann, der nahe bei ihm stand.
Wer ist der, fragte dieser Salomo,
Der Engel mit dem furchtbar ernsten Blick?
Der Todesengel, sagte Salomo.
Es scheinet mir, versetzte jener, daß
Er mein bedarf; o, so befiehl drum schnell
Dem Winde, daß er weit aus seinem Blick
Nach Indien mich bringe. Es geschah.
– Und drauf zu Salomo der Engel spricht:
Verwundert sah ich ernst auf diesen Mann,
Denn seine Seel‘ in Indien von ihm
Zu nehmen, war befohlen mir, und hier
In Palästina traf ich ihn bei dir.
Der Engel des Todes
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Engel des Todes“ von Sophie Friederike Brentano entfaltet in einer einfachen, aber tiefgründigen Weise das Thema der Unvermeidbarkeit des Todes. Die Szene ist in einer orientalischen Umgebung angesiedelt, in der der weise König Salomon eine prominente Rolle spielt. Der Erzählton ist ruhig und sachlich, wodurch die beinahe paradoxale Natur des Todes, nämlich seine Unberechenbarkeit und zugleich seine letztendliche Gewissheit, betont wird.
Die Geschichte beginnt mit der Erscheinung des Todesengels vor Salomon. Der Blick des Engels richtet sich auf einen Mann in der Nähe, was beim Mann offensichtlich Furcht auslöst. Er wendet sich an Salomon mit der Bitte, den Wind zu befehlen, ihn nach Indien zu bringen, um dem Todesengel zu entgehen. Dieser Fluchtversuch ist symbolisch für den menschlichen Wunsch, dem Tod zu entkommen, oder zumindest seine Ankunft hinauszuzögern. Die Reaktion des Mannes spiegelt die universelle Angst vor dem Tod wider.
Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass der Mann gerade durch seine Flucht sein Schicksal nur beschleunigt. Der Engel offenbart Salomon, dass der Befehl für die Seele des Mannes bereits erteilt wurde, und zwar in Indien. Die vermeintliche Flucht führt also direkt in den Tod, was die Macht des Schicksals unterstreicht. Der Engel, ein Bote des Todes, hat seinen Auftrag, und niemand kann sich ihm entziehen, egal wie weit er reist oder wie verzweifelt er versucht, ihm zu entkommen.
Die verwendete Sprache ist klar und einfach gehalten, was die Botschaft umso wirkungsvoller macht. Brentano verzichtet auf große Metaphern oder komplizierte rhetorische Figuren. Stattdessen konzentriert sie sich auf die lineare Erzählung und die Charakterzeichnung, um das zentrale Thema der Unausweichlichkeit des Todes zu vermitteln. Das Gedicht dient als mahnendes Beispiel für die menschliche Begrenztheit angesichts des Schicksals und erinnert den Leser an die Unvermeidbarkeit des Todes.
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