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Der Eintritt des Jahres 1754 in Berlin

Von

Wem tönt dies kühnre Lied? dies Lied, zu wessen Lobe,
Hört es noch manche späte Welt?
Hier steh′ ich, sinne nach, und glüh′ und stampf′ und tobe,
Und suche meiner Hymnen Held.

Wer wird es sein? Vielleicht im blut′gen Panzerkleide
Des Krieges fürchterlicher Gott?
Um ihn tönt durch das Feld gedungner Krieger Freude,
Und der Erwürgten lauter Tod.

Wie, oder ists vielmehr in fabellosen Zeiten
Ein neuer göttlicher Apoll,
Der, schwer entbehrt, mit schnell zurückberufnen Saiten
Den Himmel wieder füllen soll?

Wo nicht, so werde der der Vorwurf meiner Lieder,
Der sich als Themis Rächer wies,
Und dessen frommes Schwert der gift′gen Zanksucht Hyder
Nur drei von tausend Köpfen ließ.

Doch ihn, Apoll und Mars, in vereinet,
Vereine, mein Gesang, auch du!
Wann einst ein junger Held bei seinem Grabe weinet,
So zähl′ ihm seine Taten zu!

Fang an von jenem Tag′ – Doch, welch ein neues Feuer
Reißt mich vom niedern Staub′ empor?
Auch Könige sind Staub! Seid ihnen treu; dem treuer,
Der sie zu besserm Staub′ erkor.

Wer wird, voll seines Geists, mir seinen Namen melden?
Sein Nam′ ist ihm allein bewußt.
Er ist der Fürsten Fürst, er ist der Held der Helden;
Er füllt die Welt und meine Brust.

Er rief sie aus des Nichts nur ihm folgsamen Schlunde;
Er ruft sie noch, daß sie besteht.
Sie bebt, sie wankt, so oft ein Hauch aus seinem Munde
Den Fluch in ihre Sphären weht.

O dreimal Schrecklicher! – – doch voller Quell des Guten,
Du bist der Schreckliche nicht gern.
Den weiten Orient zerfleischen deine Ruten;
Uns, Vater, zeigst du sie von fern.

Wie, daß des Undanks Frost die trägen Lippen bindet,
Volk, dem er Heil, wie Flocken, gibt!
Ihm dank′ es, wenn ein Jahr in süßer Ruh verschwindet;
Ihm dank′ es, daß dich liebt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Eintritt des Jahres 1754 in Berlin von Gotthold Ephraim Lessing

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Eintritt des Jahres 1754 in Berlin“ von Gotthold Ephraim Lessing ist eine Ode, die nicht nur das neue Jahr willkommen heißt, sondern auch eine tiefgründige Reflexion über Macht, Heldenmut, und die Rolle Gottes im Leben der Menschen darstellt. Lessing wählt einen feierlichen Ton, der durch rhetorische Fragen und Anrufungen geprägt ist, um die Größe und Bedeutung des neuen Jahres hervorzuheben und gleichzeitig eine Botschaft der Demut und des Dankes zu vermitteln.

Das Gedicht beginnt mit der Suche nach einem Helden, der es wert ist, besungen zu werden. Lessing erwägt verschiedene Kandidaten, darunter Kriegsgötter, Apoll und einen Richter, der die Gerechtigkeit verteidigt. Diese Suche verdeutlicht die Vielschichtigkeit der menschlichen Erfahrung und die unterschiedlichen Aspekte, die als heldenhaft betrachtet werden können. Die Ablehnung dieser Figuren deutet darauf hin, dass Lessing nach einer höheren Macht sucht, die die wahre Quelle von Bedeutung und Wert darstellt. Die Zeile „Auch Könige sind Staub!“ zeigt eine Relativierung irdischer Macht, während „Er ist der Fürsten Fürst, er ist der Held der Helden“ auf eine transzendente Macht hindeutet.

Die Identifizierung dieser höheren Macht als Gott ist der Kern des Gedichts. Lessing beschreibt Gott als den Schöpfer, der die Welt aus dem Nichts rief und sie am Leben erhält. Diese Vorstellung von Gottes Allmacht und Schöpferkraft steht im Mittelpunkt, wobei die Welt „bebt“ und „wankt“ unter seinem Einfluss. Lessings Lobpreis gipfelt in der Anrufung „O dreimal Schrecklicher!“, die die Ehrfurcht und das Staunen vor der Größe Gottes zum Ausdruck bringt. Zugleich betont er Gottes Güte und Gnade, indem er ihn als „voller Quell des Guten“ bezeichnet.

Das Gedicht endet mit einem Appell an Dankbarkeit. Lessing mahnt das Volk, Gott für die Segnungen des vergangenen Jahres zu danken und ihm die Ehre zu geben. Die Verwendung von Begriffen wie „Heil“ und „süßer Ruh“ unterstreicht die Hoffnung auf Frieden und Wohlergehen im neuen Jahr. Lessings Gedicht ist somit nicht nur eine Feier des Jahreswechsels, sondern auch eine Reflexion über die Beziehung zwischen Mensch und Gott, die von Ehrfurcht, Demut und Dankbarkeit geprägt ist.

Insgesamt ist Lessings Gedicht ein Zeugnis seines Glaubens und seiner humanistischen Werte. Es ist eine tiefgründige Meditation über die menschliche Existenz, die Rolle von Macht und Gerechtigkeit, und die unermessliche Bedeutung des Glaubens an eine höhere Macht. Durch die Wahl des Themas, die feierliche Sprache und die poetische Gestaltung gelingt es Lessing, eine universelle Botschaft zu vermitteln, die über den Anlass des Jahreswechsels hinaus Bestand hat.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.