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Der Eintritt des Jahres 1753 in Berlin

Von

Wie zaudernd ungern sich die Jahre trennen mochten,
Die eine Götterhand
Durch Kränze mancher Art, mit Pracht und Scherz durchflochten,
Uns in einander wand!

So träg, als hübe sich ein Adler in die Lüfte,
Den man vom Raube scheucht:
Noch schwebt er drüber her, und witternd fette Düfte,
Entflieht er minder leicht.

Welch langsam Phänomen durchstreicht des Äthers Wogen,
Dort wo Saturn gebeut?
Ist es? Es ists, das Jahr, das reuend uns entflogen,
Es fliegt zur Ewigkeit.

Das reuend uns entflog, Dir zuzusehen,
Kein Säkulum zu sein;
Mit Deinem ganzen Ruhm belastet fort zu gehen,
Und sich der Last zu freun.

Noch oft soll manches Jahr so traurig von uns fliegen,
Noch oft, zu unserm Glück.
Vom Himmel bist Du, Herr, zu uns herabgestiegen;
Kehr′ spät! kehr′ spät zurück!

Laß Dich noch lange, Herr, den Namen Vater reizen,
Und den: menschlicher Held!
Dort wird der Himmel zwar nach seiner Zierde geizen;
Doch hier braucht Dich die Welt.

Noch seh′ ich mich für Dich mit raschen Richteraugen
Nach einem Dichter um.
Dort einer! hier und da! Sie taugen viel, und taugen
Doch nichts für Deinen Ruhm.

Ist er nicht etwa schon, und singt noch wenig Ohren,
Weil er die Kräfte wiegt:
So werd′ er dieses Jahr, der seltne Geist, geboren,
Der diesen Kranz erfliegt.

Wenn er der Mutter dann sich leicht vom Herzen windet,
O Muse, lach′ ihn an!
Damit er Feur und Witz dem Edelmut verbindet,
Poet und Biedermann.

Hört! oder täuschen mich beliebte Rasereien?
Nein, nein, ich hör′ ihn schon.
Der Heere ziehend Lärm sind seine Melodeien,
Und jeder Ton!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Eintritt des Jahres 1753 in Berlin von Gotthold Ephraim Lessing

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Eintritt des Jahres 1753 in Berlin“ von Gotthold Ephraim Lessing ist eine Ode, die den Jahreswechsel feiert und gleichzeitig eine Reflexion über die Vergänglichkeit der Zeit und die Rolle des Dichters beinhaltet. Das Gedicht ist geprägt von einem melancholischen Unterton, der mit der Freude über das neue Jahr gemischt ist. Lessing verwendet eine Reihe von Bildern und Vergleichen, um die Übergänge zu beschreiben, von der widerwilligen Trennung der alten Jahre bis zur Ankunft des neuen.

Das Gedicht beginnt mit dem Bild der Jahres, die sich nur widerwillig trennen, was durch den Vergleich mit einem Adler, der nur zögerlich seine Beute verlässt, verdeutlicht wird. Diese Metapher der Zögerlichkeit setzt sich fort und gibt einen tiefen Einblick in die menschliche Erfahrung von Verlust und Veränderung. Das Jahr, das nun vergehen muss, wird als reuend beschrieben, was die menschliche Sehnsucht nach dem Unvergänglichen widerspiegelt. Gleichzeitig wird der Wunsch nach der Anwesenheit des Himmlischen, hier repräsentiert durch den Herrn, ausgedrückt, begleitet von der Bitte, spät wiederzukehren.

Ein zentrales Thema des Gedichts ist die Suche nach einem würdigen Dichter, der den Ruhm des Herrn und die Anliegen der Welt in Einklang bringen kann. Lessing sehnt sich nach einem Dichter, der sowohl über die intellektuellen Fähigkeiten als auch über das moralische Fundament verfügt, um ein wahres künstlerisches Werk zu schaffen. Die Hoffnung auf die Geburt eines solchen Dichters, der den „Kranz“ des Ruhms erfliegen kann, durchzieht das Gedicht. Der Dichter soll „Feur und Witz dem Edelmut verbinden“, eine perfekte Mischung aus Inspiration, Intellekt und moralischer Integrität.

Die letzten Strophen deuten auf die Erfüllung dieser Hoffnung hin. Lessing glaubt, bereits die Melodien des neuen Dichters zu vernehmen, dessen Werke den Lärm der Heere übertreffen. Dies deutet auf die transformative Kraft der Dichtkunst hin, die in der Lage ist, das Chaos der Welt in Harmonie zu verwandeln. Das Gedicht endet in einem Zustand der Hoffnung und des Glaubens an die erlösende Kraft der Kunst, die dazu dient, die Werte der Welt zu preisen und zu ehren.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.