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Das Wichtigste

Von

(5. Januar 1908)

Ein Mordshallo hat′s einst gegeben,
Als Cäsar nahm den Rubikon,
Bei uns gibt′s andre Überschritte,
Jedoch wir sagen keinen Ton.

Ob Rathaus oder etwas andres,
Nie kommt man aus mit dem Etat,
Zuweilen scheint′s, als würd′ es langen,
Doch hinterher ist alles da.

Die neue Rennbahn hat′s bewiesen;
Kein Nachtrag? Kinder, welch Malheur!
Doch nein, es stimmt, denn als man nachsah,
Da waren′s hunderttausend mehr.

Dem Stadthall′nbau sehn drum entgegen
Wir mit Vertrauensvölligkeit;
Ist erst der Bauetat bewilligt,
Der Nachtrag find′t sich mit der Zeit.

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Gedicht: Das Wichtigste von Hermann Löns

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Wichtigste“ von Hermann Löns aus dem Jahr 1908 ist eine beißende Satire auf die Korruption und Ineffizienz in städtischen oder kommunalen Strukturen. Es verwendet ironische Übertreibung und einen nüchternen Ton, um die scheinbare Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Verantwortlichen anzuprangern, finanzielle Budgets einzuhalten. Die gewählte Form, eine Mischung aus Alltagssprache und leichten Reimen, verstärkt den humorvollen, aber gleichzeitig kritischen Charakter des Gedichts.

Die erste Strophe eröffnet mit einem Vergleich zu historischen Ereignissen, nämlich Cäsars Überschreiten des Rubikon, was eine folgenschwere Entscheidung darstellt. Löns setzt dieser historischen Bedeutung „andere Überschritte“ entgegen, die im Kleinen, im Alltag stattfinden, aber ohne Aufsehen oder öffentliche Empörung. Dies deutet auf eine Normalisierung von Unredlichkeit oder Verschwendung im kommunalen Bereich hin. Der ironische Kommentar „Jedoch wir sagen keinen Ton“ unterstreicht die passive Akzeptanz oder gar das Desinteresse der Bevölkerung an diesen Vorgängen.

In der zweiten und dritten Strophe werden konkrete Beispiele genannt, wie beispielsweise der „Etat“ (das Budget) für das Rathaus oder die „neue Rennbahn“. Die Formulierung „Nie kommt man aus mit dem Etat“ deutet auf ein strukturelles Problem hin, bei dem die ursprünglichen Kostenvoranschläge systematisch unterlaufen werden. Die Verwendung von umgangssprachlichen Ausdrücken wie „Kinder, welch Malheur!“ und die demonstrative Unschuld, wenn es heißt „Doch nein, es stimmt, denn als man nachsah, Da waren’s hunderttausend mehr,“ verstärken den satirischen Ton und entlarven die vermeintliche Überraschung über die steigenden Kosten.

Die letzte Strophe nimmt diesen Faden auf und prognostiziert gelassen und resigniert die kommenden Überschreitungen beim Bau der Stadthalle. Der „Nachtrag“, also die Nachbesserung im Budget, wird als unvermeidlich betrachtet, was die Hoffnungslosigkeit der Situation widerspiegelt. Löns entlarvt damit eine Kultur der Misswirtschaft und der fehlenden Verantwortlichkeit, in der die anfänglichen Versprechen und Budgets wenig Bedeutung haben. Die Botschaft des Gedichts ist klar: In dieser Welt ist das „Wichtigste“ nicht die Einhaltung von Regeln oder Finanzen, sondern die Akzeptanz des Unerwarteten und die ständige Anpassung an die Tatsachen, die sich gegen alle Vernunft verändern.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.