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Die Füße im Feuer

Von

Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm. Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell
Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann…

– „Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt
Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!“
– „Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert’s mich?
Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!“
Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal,
Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt,
Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht
Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib,
Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild…
Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd
Und starrt in den lebend’gen Brand. Er brütet, gafft…
Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal…
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.

Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin
Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft.
Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt…
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
– „Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
Drei Jahre sind’s… Auf einer Hugenottenjagd…
Ein fein, halsstarrig Weib…’Wo steckt der Junker? Sprich!‘
Sie schweigt. ‚Bekenn!‘ Sie schweigt. ‚Gib ihn heraus!‘ Sie schweigt.
Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf…
Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie
Tief mitten in die Glut.. ‚Gib ihn heraus!‘.. Sie schweigt…
Sie windet sich… Sahst du das Wappen nicht am Tor?
Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.“
Eintritt der Edelmann. „Du träumst! Zu Tische, Gast…“

Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht
Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
Ihn starren sie mit aufgerißnen Augen an –
Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
Springt auf: „Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt!
Müd bin ich wie ein Hund!“ Ein Diener leuchtet ihm,
Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr…
Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach.

Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert.
Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt.
Die Treppe kracht… Dröhnt hier ein Tritt?… Schleicht dort ein Schritt?…
Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht.
Auf seinen Lidern lastet Blei und schlummernd sinkt
Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut.

Er träumt. „Gesteh!“ Sie schweigt. „Gib ihn heraus!“ Sie schweigt.
Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt…
– „Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!“
Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt,
Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr – ergraut,
Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das
Haar.

Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad.
Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedsel’ge Wolken schwimmen durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächt’gen Wacht.
Die dunkeln Schollen atmen kräft’gen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!“ Der andre spricht:
„Du sagst’s! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein Dienst mir schwer.. Gemordet hast du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst!… Mein ist die Rache, redet Gott.“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Füße im Feuer von Conrad Ferdinand Meyer

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Füße im Feuer“ von Conrad Ferdinand Meyer ist eine dramatisch zugespitzte Ballade über Schuld, Erinnerung und zurückgehaltene Rache. In eindringlichen Bildern und atmosphärisch dichter Sprache entfaltet sich die Geschichte eines königlichen Kuriers, der Zuflucht in einem abgelegenen Schloss sucht – nicht ahnend (oder ahnend), dass er einst an diesem Ort ein grausames Verbrechen begangen hat. Der Text entwickelt sich von der äußeren Bedrohung des Sturms zur inneren Bedrohung durch das eigene Gewissen.

Der Reiter erscheint wie aus einem Unwetter geboren: Wind, Blitz und Donner begleiten sein Auftauchen, das in typischer Balladenmanier mit viel dramatischer Geste geschildert wird. Doch schon früh wechselt der Fokus ins Innere – der Ahnensaal, das Feuer, die düsteren Gemälde, das Schweigen der Kinder – all das steigert eine gespannte, fast erstickende Atmosphäre. Mit dem Erkennen des Ortes und des Wappens wird dem Gast schlagartig seine Schuld bewusst: Hier hatte er vor Jahren einer Hugenottin auf grausamste Weise die Füße in die Glut gehalten, um den Aufenthaltsort ihres Mannes zu erzwingen.

Meyer nutzt das Motiv des Feuers nicht nur als reale Erinnerung an die Tat, sondern auch als Symbol innerer Qual. Immer wieder kehrt das Bild der „zuckenden Füße in der Glut“ zurück, wird zur Obsession des Schuldigen, verfolgt ihn bis in den Traum. Dass das Grauen auch die Kinder nicht unberührt lässt, zeigt ihre stumme, entsetzte Reaktion. Das Gedicht konfrontiert damit nicht nur den Täter mit seiner Schuld, sondern auch die nächste Generation mit den unausgesprochenen Traumata der Vergangenheit.

Im letzten Teil kommt es nicht zum erwarteten Racheakt. Der Schlossbesitzer, das Opfer, hätte die Macht zur Vergeltung, vollzieht sie aber nicht. Er lässt den Mörder seiner Frau am Leben – eine überraschende, fast übermenschlich anmutende Entscheidung. Statt Blutgericht spricht er in biblischer Sprache: „Mein ist die Rache, redet Gott.“ Damit entzieht er sich dem Kreislauf der Gewalt und überlässt das Urteil einer höheren Instanz. Dieser Moment verleiht dem Gedicht eine tiefe moralische Dimension.

„Die Füße im Feuer“ ist somit nicht nur eine spannende Ballade über historische Gewalt, sondern auch ein psychologisches Porträt über Schuld, Gewissen und das ethische Dilemma der Rache. Meyer verbindet hier historische Anspielungen – etwa auf die Hugenottenverfolgung – mit einer zeitlosen Fragestellung: Wie geht der Mensch mit seiner Schuld um, und was bedeutet Vergebung? Die knappe, bildreiche Sprache und der straffe Aufbau machen das Gedicht zu einem Musterbeispiel für die Kraft der erzählenden Lyrik.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.