Das tote Kind
Es hat den Garten sich zum Freund gemacht,
Dann welkten es und er im Herbste sacht,
Die Sonne ging, und es und er entschlief,
Gehüllt in eine Decke weiss und tief.
Jetzt ist der Garten unversehns erwacht,
Die Kleine schlummert fest in ihrer Nacht. –
„Wo steckst du?“ summt es dort und summt es hier.
Der ganze Garten frägt nach ihr, nach ihr.
Die blaue Winde klettert schlank empor
Und blickt ins Haus: „Komm hinterm Schrank hervor!
Wo birgst du dich? Du tust dirs selbst zuleid!
Was hast du für ein neues Sommerkleid?“
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das tote Kind“ von Conrad Ferdinand Meyer beschreibt auf poetische Weise den Tod eines Kindes und die Reaktion der Natur darauf. Zu Beginn wird die Beziehung des Kindes zum Garten beschrieben: „Es hat den Garten sich zum Freund gemacht“, was eine harmonische Verbindung zur Natur und zur lebendigen Welt suggeriert. Doch dieser Zustand der Unschuld und des Lebens ist nur von kurzer Dauer, denn „es welkten“ das Kind und der Garten im Herbst, was den natürlichen Zyklus von Leben und Vergehen widerspiegelt. Der Tod des Kindes wird als ein sanfter, ruhiger Übergang dargestellt, da sowohl das Kind als auch der Garten „entschliefen“, „gehüllt in eine Decke weiß und tief“, was den Frieden und die Unabwendbarkeit des Todes betont.
In der zweiten Strophe wird der Garten „unversehns erwacht“, was darauf hindeutet, dass die Natur ohne das Kind weiterlebt und sich erneuert. Diese Wiedererweckung der Natur steht im Kontrast zum stillen Tod des Kindes, das nun „fest in ihrer Nacht“ schlummert. Der Garten fragt nach dem Kind, was die Leere und das Fehlen des Kindes betont. Die Zeilen „Wo steckst du?“ und „Der ganze Garten frägt nach ihr“ spiegeln die Sehnsucht der Natur nach dem Kind wider, als ob das Leben ohne das Kind unvollständig wäre. Die Wiederbelebung des Gartens macht die Abwesenheit des Kindes noch schmerzhafter.
In der letzten Strophe wird der Garten durch die „blaue Winde“, die „slank empor“ klettert, personifiziert. Diese windige Erscheinung scheint nach dem Kind zu suchen, es zu rufen und ihm zu versichern, dass es „hinterm Schrank hervor[kommen]“ möge. Die Frage nach dem „neuen Sommerkleid“ kann als Versuch gedeutet werden, das Kind zurückzuholen, als ob die Natur es mit neuer Frische und Hoffnung aus der Trauer befreien könnte. Der Wind fordert das Kind auf, sich nicht weiter zu verbergen, was eine Art von Zärtlichkeit und Verlust in der natürlichen Welt ausdrückt. Doch die Frage bleibt unbeantwortet, und das Kind bleibt in seiner „Nacht“ der Ewigkeit gefangen.
Meyer nutzt in diesem Gedicht die Personifizierung der Natur, um die Trauer und den Verlust des Kindes zu vermitteln. Die Natur – symbolisiert durch den Garten, die Winde und die Sonne – reagiert auf den Tod des Kindes, als ob sie ein echtes Bewusstsein und eine Sehnsucht nach dem Verschwundenen hätte. Das Gedicht stellt auf diese Weise einen Dialog zwischen Leben und Tod dar, der das menschliche Bedürfnis nach Trost und Verstehen inmitten des Schmerzes widerspiegelt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.