Auf dem Canal grande
Auf dem Canal grande betten
Tief sich ein die Abendschatten,
Hundert dunkle Gondeln gleiten
Als ein flüsterndes Geheimnis.
Aber zwischen zwei Palästen
Glüht herein die Abendsonne,
Flammend wirft sie einen grellen
Breiten Streifen auf die Gondeln.
In dem purpurroten Lichte
Laute Stimmen, hell Gelächter,
Überredende Gebärden
Und das frevle Spiel der Augen.
Eine kleine, kurze Strecke
Treibt das Leben leidenschaftlich
Und erlischt im Schatten drüben
Als ein unverständlich Murmeln.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Auf dem Canal grande“ von Conrad Ferdinand Meyer beschreibt eine Szene am berühmten Canal Grande in Venedig und fängt die Atmosphäre der Abenddämmerung sowie die Dynamik zwischen Licht und Schatten ein. Die „Abendschatten“, die sich „tief“ auf den Kanal legen, schaffen eine ruhige, geheimnisvolle Stimmung, die durch die „hundert dunklen Gondeln“ verstärkt wird. Diese Gondeln, die lautlos über das Wasser gleiten, vermitteln ein Gefühl von Intimität und Geheimnis, als ob sie die verborgenen Geschichten und Geheimnisse der Stadt transportieren.
Der Kontrast zwischen den Schatten und dem grellen Licht der Abendsonne wird im Gedicht auf kraftvolle Weise dargestellt. „Zwischen zwei Palästen“ tritt die Sonne ein und wirft „einen breiten Streifen“ auf die Gondeln. Dieses Bild der „flammend“ strahlenden Sonne im purpurroten Licht symbolisiert nicht nur die körperliche Helligkeit, sondern auch eine metaphorische Beleuchtung – die Momente des Lebens, die sich inmitten von Dunkelheit und Geheimnissen manifestieren. Es ist ein flüchtiges, intensives Licht, das die Szenerie für einen Augenblick erleuchtet und dabei die lebendige Dynamik des menschlichen Lebens widerspiegelt.
Das „laute Gelächter“ und die „überredenden Gebärden“ der Menschen, die im Licht sichtbar werden, kontrastieren mit der geheimnisvollen Ruhe der Gondeln und der Dunkelheit, die sie umgibt. Die „frevle Spiel der Augen“ deutet auf die leidenschaftlichen, vielleicht sogar riskanten Beziehungen hin, die im flimmernden Licht entstehen. In diesem Moment wird das Leben intensiv und von einer gewissen Unordnung geprägt – eine Welt des Verlangens, der Aufregung und der Vergänglichkeit. Diese Szenen des Lebens, die sich im flimmernden Licht manifestieren, werden im nächsten Moment wieder von den Schatten verschlungen.
Der Abschluss des Gedichts stellt das rasche Erlöschen des Lebens dar. „Eine kleine, kurze Strecke“ wird als Metapher für das schnelle, leidenschaftliche Leben verwendet, das im „Schatten drüben“ endet, wo es „als ein unverständlich Murmeln“ verweht. Diese Darstellung des Lebens als flüchtiges, unverständliches Murmeln spiegelt die Vergänglichkeit und die Unklarheit menschlicher Existenzen wider. Die lebendige, scheinbar turbulente Bewegung der Gondeln und der Menschen endet schließlich im Dunkeln, was die letztliche Vergänglichkeit aller intensiven Momente und aller menschlichen Bestrebungen unterstreicht. Das Gedicht evoziert eine Stimmung der Melancholie und des Nachdenkens über das flüchtige Wesen des Lebens.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.