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Ein Gänschen

Von

Ein Gänschen auf dem Teppich stand
In Erdmannsdorf gar wohl bekannt
Es war ein herzig Gänschen
Ein fremder Maler kam dahin,
Mit schwarzem Bart und leichtem Sinn
Dahin, dahin,
Nach Erdmannsdorf er ging.

Ach! denkt das Gänschen, wär ich nur
Die schönste Gans in der Natur,
Ach! nur ein kleines Weilchen.
Bis mich der Maler hätt gemalt,
Ich ihn durch einen Kuß bezahlt,
Mit meinem, mit meinem,
Mit meinem breiten Schnabel.

Ach! aber ach! der Maler kam
Und nicht in acht das Gänschen nahm,
Er trat das arme Gänschen.
Es fuhr schnell auf und flatterte,
Sperrt auf den Schnabel und schnatterte:
Und tritts du mich, so schnattr‘ ich doch
Für dich, für dich
Du schwarzer Rabe doch.

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Gedicht: Ein Gänschen von Clemens Brentano

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Gänschen“ von Clemens Brentano erzählt in humorvoller, fast märchenhafter Weise die kleine Begebenheit eines Gänschens, das in einem Dorf lebt und sich nach Aufmerksamkeit und Bewunderung sehnt. Besonders charmant ist die kindlich-naive Perspektive des Tiers, das sich in den fremden Maler verliebt und davon träumt, von ihm gemalt und durch einen Kuss belohnt zu werden – wobei der Kuss natürlich in Form eines Schnabelkusses gedacht ist.

Die Szene ist durchzogen von Ironie und leiser Satire. Brentano greift hier das Motiv der vergeblichen Eitelkeit auf: Das Gänschen möchte die „schönste Gans in der Natur“ sein, nur um die Gunst eines Menschen zu gewinnen. Diese übertriebene Selbstinszenierung wirkt ebenso niedlich wie komisch – sie spiegelt menschliche Sehnsüchte in tierischer Form wider.

Doch die Realität holt das Gänschen schnell ein: Der Maler, leichtsinnig und gedankenlos, beachtet es nicht und tritt es unabsichtlich. Der romantische Traum des Tiers zerplatzt abrupt, doch es verliert nicht seine Stimme. Mit energischem „Schnattern“ wehrt sich das Gänschen und protestiert gegen die Missachtung. Besonders der letzte Ausruf „Du schwarzer Rabe doch“ ist doppeldeutig – einerseits eine Anklage, andererseits eine komische Überhöhung, die das Drama liebevoll ins Absurde kippen lässt.

Brentano nutzt in diesem Gedicht eine einfache, liedhafte Sprache, die durch Reime und Wiederholungen an volkstümliche Erzähltraditionen erinnert. Der Text lässt sich sowohl als heitere Tiergeschichte lesen als auch als sanfte Parodie auf romantische Schwärmerei und verletzte Eitelkeit. In diesem Zusammenspiel von kindlicher Fantasie und nüchterner Realität entfaltet sich der poetische Reiz des Gedichts.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.