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Herbstliche Liebe

Von

Meine Seele spinnt dich ein;
schimmernde Marienfäden
sollen ihre Häscher sein.

Ihre Schlingen fühlst du kaum.
Eine rote Märtyrkrone
brech ich dir vom Eschenbaum.

Deine Stirne küss ich bleich –
und so führ ich dich gefangen
mitten durch mein Schattenreich.

Du wirst ganz mein eigen sein,
wirst verbluten und verblühen –
meine Seele spinnt dich ein.

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Gedicht: Herbstliche Liebe von Clara Müller-Jahnke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Herbstliche Liebe“ von Clara Müller-Jahnke thematisiert eine intensive, dunkle Form der Liebe, die zwischen zärtlicher Hingabe und besitzergreifender Macht oszilliert. In nur vier Strophen entfaltet sich ein dichter, atmosphärisch aufgeladener Text, der herbstliche Symbolik nutzt, um eine Beziehung zu beschreiben, in der das lyrische Ich den geliebten Menschen vollständig vereinnahmen will – bis hin zu dessen „Verbluten und Verblühen“.

Die erste Strophe eröffnet mit dem Bild eines seelischen Einspinnens: Die „schimmernden Marienfäden“ – zarte Spinnfäden, wie sie im Herbst durch die Luft ziehen – wirken zunächst unscheinbar, fast poetisch-romantisch. Doch sie fungieren hier als „Häscher“, als Fangwerkzeuge der Seele. Damit ist der Ton gesetzt: Die Liebe wird nicht nur als sanfte Verbindung verstanden, sondern auch als Akt der Kontrolle und Besitznahme.

In der zweiten Strophe steigert sich diese Ambivalenz. Das lyrische Ich bricht dem Geliebten eine „rote Märtyrkrone“ vom Eschenbaum – ein starkes Bild, das Leid und Erhabenheit vereint. Der Geliebte wird so zum Opfer einer leidenschaftlichen, fast religiös überhöhten Liebe. Das Motiv des Märtyrertums verleiht der Beziehung eine schicksalhafte, unausweichliche Dimension.

Die dritte Strophe schildert die Gefangennahme als zärtlich-unheimliche Handlung. Der Kuss auf die „bleiche Stirne“ wirkt wie ein letzter Akt vor dem Eintritt in das „Schattenreich“, das für Tod, Vergänglichkeit oder die inneren Tiefen der Seele stehen kann. Die Führung des Geliebten durch dieses Reich erinnert an mythologische Motive wie den Gang durch die Unterwelt – hier jedoch unter dem Zeichen der Liebe.

Die letzte Strophe schließt den Kreis: Das Einspinnen ist vollendet, die Vereinnahmung abgeschlossen. Der Geliebte wird „ganz mein eigen sein“, aber zum Preis seiner Lebenskraft – ein „Verbluten und Verblühen“, das untrennbar mit dem Herbst, dem Ende, verbunden ist. So verwebt das Gedicht Naturbilder, mythologische Anklänge und psychologische Tiefe zu einer Darstellung der Liebe als existenzielle Kraft, die Schönheit, Tod und Begehren untrennbar miteinander verknüpft.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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