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Ode XIV

Von

Das männliche Geschlechte, im Namen einiger Frauenzimmer besungen

Du Weltgepriesenes Geschlechte,
Du in dich selbst verliebte Schaar,
Prahlst allzusehr mit deinem Rechte,
Das Adams erster Vorzug war.
Doch soll ich deinen Werth besingen,
Der dir auch wirklich zugehört;
So wird mein Lied ganz anders klingen,
Als das, womit man dich verehrt.

Ihr rühmt das günstige Geschicke,
Das euch zu ganzen Menschen macht;
Und wißt in einem Augenblicke
Worauf wir nimmermehr gedacht.
Allein; wenn wir euch recht betrachten,
So seyd ihr schwächer als ein Weib.
Ihr müßt oft unsre Klugheit pachten,
Noch weiter als zum Zeitvertreib.

Kommt her, und tretet vor den Spiegel:
Und sprechet selbst, wie seht ihr aus?
Der Bär, der Löwe, Luchs, und Igel
Sieht bey euch überall heraus.
Vergebt, ich muß die Namen nennen,
Wodurch man eure Sitten zeigt.
Ihr mögt euch selber wohl nicht kennen,
Weil man von euren Fehlern schweigt.

Seht doch, wie ihr vor Eifer schäumet,
Wenns nicht nach eurem Kopfe geht.
O Himmel, was ist da versäumet,
Wenn man nicht gleich zu Diensten steht!
Ihr flucht mit fürchterlicher Stimme,
Als kämt ihr aus des Pluto Kluft.
Und wer entgehet euren Grimme,
Wenn ihr das Haus zusammen ruft?

So bald der Eifer sich geleget,
Wird aus dem Bär ein stilles Schaaf,
Das weiter keinen Streit erreget:
Es überläßt sich Ruh und Schlaf.
Habt ihr geirrt, heists kein Vergehen:
Die Weiber sind an allem Schuld.
Wer sie muß immer um sich sehen.
Dem reisset endlich die Geduld.

Zu dem, wenn euch der Wahn bethöret,
Das andern eure Frau gefällt;
Wie wird nicht eure Ruh gestöret,
Wenn sichs gleich nicht also verhält!
Ihr sucht euch schon an dem zu rächen,
Der sie nur in der Ferne kennt,
Und das ohn alles Wiedersprechen,
Wenn man nur seinen Namen nennt.

Die Frau wird euch vergebens fragen,
Ob ihr sie mit Bestande liebt?
Das schwache Werkzeug soll nicht klagen,
Wenn man ihm Speis und Kleidung giebt.
Geniessen andre ihr Vermögen,
Weil ihr Geliebter gerne nascht;
So kommts von seinem eignen Seegen,
Wenn sie ihn bey der Lust erhascht.

Er gönnt ihr wohl ein gut Gerichte,
Wenn er mit andern Freunden schmaust:
Allein kein freundliches Gesichte,
Weil er in Rausche lermt und braust.
Vermißt er den Ducatenbeutel,
Und denkt an das verlohrne Geld,
So hält er dieses nicht vor eitel,
Da ist er erst ein schwacher Held.

Manch frommes Weib bekommt zur Ehe
Den grösten Geizhalß von der Welt.
Da findet sie die sieben Wehe,
Daß jeder Tag etwas behält.
Bey seinen neidischen Geberden
Sieht er ganz blaß und mager aus.
Es ist nichts häßlichers auf Erden,
Als dieser Mann in seinem Haus.

Der Hochmuth stellt uns feine Seelen
Im männlichen Geschlechte dar.
Der Ehrgeiz läßt sich nicht verhelen,
Sie folgen ihm, auch mit Gefahr.
Doch straft man nicht die Ehrbegierde,
Nach der ein Weiser sich bestrebt;
Die ist des Menschen gröste Zierde,
Wenn er dabey vernünftig lebt.

Die, welche sich nur selbst erheben,
Die gerne groß und vornehm sind,
Nach allen Ehrenämtern streben,
Da doch den Kopf nichts füllt als Wind:
Die keine Wissenschaften kennen,
Und dringen sich in Würden ein,
Die kann man wohl mit Namen nennen,
Daß sie der Thorheit Kinder seyn.

Die Männer müssen doch gestehen,
Daß sie wie wir, auch Menschen sind.
Daß sie auch auf zwey Beinen gehen;
Und daß sich manche Schwachheit findt.
Sie trinken, schlafen, essen, wachen.
Nur dieses ist der Unterscheid,
Sie bleiben Herr in allen Sachen,
Und was wir thun, heißt Schuldigkeit.

Der Mann muß seine Frau ernähren,
Die Kinder, und das Hausgesind.
Er dient der Welt mit weisen Lehren,
So, wie sie vorgeschrieben sind.
Das Weib darf seinen Witz nicht zeigen:
Die Vorsicht hat es ausgedacht,
Es soll in der Gemeine schweigen;
Sonst würdet ihr oft ausgelacht.

Ihr klugen Männer schweigt nur stille:
Entdecket unsre Fehler nicht.
Denn es ist selbst nicht unser Wille,
Daß euch die Schwachheit wiederspricht.
Trag eines nur des andern Mängel,
So habt ihr schon genug gethan,
Denn Menschen sind fürwahr nicht Engel,
An denen man nichts tadeln kann.

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Gedicht: Ode XIV von Christiana Mariana von Ziegler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ode XIV“ von Christiana Mariana von Ziegler ist eine satirisch-pointierte Auseinandersetzung mit dem männlichen Geschlecht, vorgetragen im Namen „einiger Frauenzimmer“. Die Dichterin entlarvt in scharfer, oft spöttischer Weise die Eitelkeit, Widersprüchlichkeit und moralische Schwäche der Männer, die sich selbst als überlegen darstellen, aber in vieler Hinsicht kaum besser oder gar schlechter als Frauen sind.

Ziegler stellt zunächst die Selbstverliebtheit der Männer infrage, die sich auf die biblische Vorrangstellung Adams berufen. Sie kontert diese Überheblichkeit mit der Behauptung, dass Männer in Wahrheit schwächer als Frauen seien und sogar von deren Klugheit abhängig sind. Dabei wird die Kritik nicht nur sachlich vorgetragen, sondern mit beißender Ironie und metaphorischen Zuspitzungen wie dem Vergleich mit Tieren („Bär“, „Löwe“, „Igel“), welche männliche Grobheit und Unbeherrschtheit karikieren.

Besonders deutlich wird Ziegler in ihrer Kritik an männlicher Doppelmoral: Männer zeigen Eifersucht, erwarten aber von Frauen Unterordnung. Sie toben, trinken, verschwenden Geld und machen Frauen für ihre Fehler verantwortlich. Selbst in der Ehe erleben Frauen oft Leid – etwa durch geizige, herrische oder selbstverliebte Ehemänner. Auch Männer, die durch bloßen Ehrgeiz und ohne Bildung Macht anstreben, werden als lächerlich entlarvt.

Am Ende des Gedichts gesteht Ziegler zwar ein, dass beide Geschlechter menschliche Schwächen teilen, doch betont sie die gesellschaftlich bedingte Asymmetrie: Männer bleiben „Herr in allen Sachen“, während Frauen, selbst wenn sie klug sind, schweigen sollen. Dieses Ungleichgewicht wird mit spitzer Feder, aber auch mit einem gewissen versöhnlichen Unterton kritisiert – die letzte Strophe ruft zum gegenseitigen Verständnis und zur Nachsicht auf: „Denn Menschen sind fürwahr nicht Engel“.

Zieglers „Ode XIV“ ist damit ein frühes, mutiges Beispiel weiblicher Stimme in der Aufklärung. Es verbindet Witz, rhetorische Schärfe und gesellschaftskritischen Tiefgang zu einem eindrucksvollen Plädoyer für Gleichberechtigung und mehr Selbstreflexion auf Seiten der Männer.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.