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Klage der Tochter Jephtas

Von

Du schönes Thal, mit Lieblichkeit umgeben,
In dessen Schooß viel tausend Blumen weben,
Laß meine Klagen ein!
Laß, was du siehst aus meinen Augen schießen,
Durch Laub und Gras der schönen Gegend fließen
Und ihren Schmelz damit gewaschen sein!

Du stolzer Berg, mit Bäumen wohl besetzet,
So keine Hand der Männer hat verletzet,
Und Jungfrau’n sind, wie ich,
Verachte nicht, was meine Wehmuth bringet,
Und so sie dich nicht auch zu klagen zwinget,
So muß ich billig trauern über dich.

Es wird mein Fuß dich künftig nicht beschreiten,
Der Wiederschall wird nicht mehr mit mir streiten,
Mein Mund spricht: gute Nacht!
Ihr Blätter, kommt und werdet mir zu Zungen,
Und weil ich euch vor diesem viel gesungen,
So singt nun ihr, was mir den Tod gebracht.

Du schöner Fluß, der du die Gegend zierest
Und mehr Kristall, als Wasserfluthen führest,
Nimm an mein Ach und Weh!
Du reiner Fluß, nimm meine reinen Zähren –
Ich weiß nichts itzo Reiner’s zu gewähren –
Und schenke sie alsdann der wüsten See!

Was aber will ich Arme doch beginnen?
Was plag‘ ich doch durch Klagen meine Sinnen?
Es ist um mich gethan.
Die Jugend heißt mich ferner sein und leben,
Und der, so mir das Leben hat gegeben,
Macht, daß ich nicht mehr leben kann.

O schwerer Sieg! o unglückselig Streiten!
Des Vaters Ruhm muß mir das Grab bereiten;
Die Liebe bringt Gefahr.
Mein Untergang vermehrt der Feinde Haufen;
Es muß mein Blut zu ihrem Blute laufen;
Der Tochter Tod vermehrt der Feinde Schaar.

Ganz Ammon wird des Vaters Sieg belachen
Und einen Scherz aus Jephta’s Tochter machen;
Hier ist kein Unterscheid.
Ganz Ammon trotzt und muß durch’s Schwert verderben;
Die Tochter liebt und muß, wie Ammon, sterben;
Aus Ammon’s Blut blüht Angst und Herzeleid.

Der Vater schlug der Feinde Trotz danieder;

Jetzt rächt der Feind sich an dem Vater wieder,
Jetzt fleußt sein eigen Blut,
Sein eigen Blut, aus seinen Adern kommen,
Sein eigen Blut, davon ich bin genommen,
Sein eigen Blut, sein Schatz, sein größtes Gut.

Es muß mein Blut ein reiner Zeuge werden,
Daß Lust und Leid verbunden stehn auf Erden
Und stets verschwistert sein,
Daß Thränen stets bei unserm Lachen schweben,
Daß Rosen stets mit Dornen sind umgeben,
Daß Freud‘ und Lust begleitet Angst und Pein.

Es muß so sein! Der Himmel hat’s beschlossen,
Daß hier mein Blut soll werden ausgegossen,
Wiewohl ohn‘ alle Schuld;
Ist Lieb‘ und Lust Beleidigung zu nennen,
So muß ich nur die Uebelthat bekennen;
Doch zähm‘ ich mich durch Sanftmuth und Geduld.-

Und nun, ihr zarten Schwestern, deren Sinnen
Durch Lieb‘ und Treu‘ mich weislich binden können,
Hier ist der letzte Kuß,
Das letzte Wort, die letzte Zeit, zu scheiden!
Ich muß euch jetzt, ihr müßt mich wieder meiden!
Es trennet sich Mund, Auge, Herz und Fuß.

Es ist genug euch und auch mich betrübet;
Die ihr mich stets, die ich euch stets geliebet,
Es ist genug geklagt!
Vergeh‘ ich gleich, so muß mein Name bleiben
Und durch den Lauf der Zeiten stets bekleiben.
Die Tugend lebt; drum sterb‘ ich unverzagt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Klage der Tochter Jephtas von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Klage der Tochter Jephtas“ von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau thematisiert das tragische Schicksal einer jungen Frau, die sich in das göttlich bestimmte Urteil fügt, geopfert zu werden – als Folge eines Gelübdes, das ihr Vater Jephta vor einer Schlacht abgelegt hat. Es beruht auf einer biblischen Erzählung (Richter 11), in der Jephta gelobt, Gott ein Opfer darzubringen, sollte er den Kampf gegen die Ammoniter gewinnen. Als er siegt, trifft das Gelübde tragisch seine eigene Tochter, die erste ist, die ihm entgegenkommt.

Das lyrische Ich – die Tochter – richtet ihren Abschied in Form einer Klage an die Natur: an das Tal, den Berg, den Fluss, aber auch an ihre Freundinnen. Diese Naturbilder stehen symbolisch für ihre Unschuld, Reinheit und enge Verbundenheit mit dem Leben. Indem sie diesen vertrauten Orten ihr Leid klagt, wird der Kontrast zwischen der Schönheit der Welt und der Unabwendbarkeit ihres Todes besonders deutlich. Die Natur soll zum Zeugen ihres Schmerzes werden, vielleicht sogar stellvertretend weiterleben, was in der Bitte an die Blätter, an ihrer Stelle zu singen, Ausdruck findet.

Zentrales Motiv des Gedichts ist das Spannungsverhältnis zwischen Pflicht und persönlichem Leid. Der Vater hat durch seinen Eid einen „schweren Sieg“ errungen – seine Tochter muss nun für seinen Ruhm mit dem Leben bezahlen. Dabei reflektiert das lyrische Ich die grausame Ironie: Der Sieg bringt nicht nur den Feinden Untergang, sondern auch der eigenen Familie. Die Tochter erkennt sich als Opfer einer göttlichen Ordnung, der sie sich mit Haltung und Würde fügt, obwohl sie unschuldig ist.

Die letzten Strophen verdeutlichen ihre innere Stärke. Trotz aller Trauer und Verzweiflung tritt die Tochter dem Tod mit Sanftmut und Tapferkeit entgegen. Ihre Tugendhaftigkeit bleibt ungebrochen – sie begreift ihren Tod als Zeugnis dafür, dass Freude und Leid untrennbar miteinander verbunden sind. In ihrer Haltung liegt eine stille Größe, durch die sie selbst im Tod weiterwirken möchte: „Die Tugend lebt; drum sterb‘ ich unverzagt.“

Insgesamt entfaltet Hoffmannswaldau in kunstvoller Sprache ein bewegendes Bild von Opferbereitschaft, innerer Stärke und tragischer Schönheit. Die Natur, das Bild der reinen Tränen, das Paradox von Freude und Schmerz – all diese Elemente verdichten sich zu einer barocken Meditation über die Unausweichlichkeit des Schicksals und die Kraft der Tugend im Angesicht des Todes.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.