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Till

Von

Der Narr, dem oft weit minder Witz gefehlt
Als vielen, die ihn gern belachen,
Und der vielleicht, um andre klug zu machen,
Das Amt des Albernen gewählt;
(Wer kennt nicht Tills berühmten Namen?)
Till Eulenspiegel zog einmal
Mit andern über Berg und Tal.
So oft als sie zu einem Berge kamen,
Ging Till an seinem Wanderstab
Den Berg ganz sacht und ganz betrübt hinab;
Allein wenn sie berganwärts stiegen,
War Eulenspiegel voll Vergnügen.
„Warum“, fing einer an, „gehst du bergan so froh?
Bergunter so betrübt?“ – „Ich bin“, sprach Till, „nun so.
Wenn ich den Berg hinunter gehe:
So denk‘ ich Narr schon an die Höhe,
Die folgen wird, und da vergeht mir denn der Scherz;
Allein wenn ich berganwärts gehe:
So denk‘ ich an das Tal, das folgt, und fass‘ ein Herz.“

Willst du dich in dem Glück nicht ausgelassen freun,
Im Unglück nicht unmäßig kränken:
So lern‘ so klug wie Eulenspiegel sein,
Im Unglück gern ans Glück, im Glück ans Unglück denken.

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Gedicht: Till von Christian Fürchtegott Gellert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Till“ von Christian Fürchtegott Gellert greift die Figur des Till Eulenspiegel auf, um eine lebenskluge Botschaft zu vermitteln. Till, der oft als Narr erscheint, besitzt in Wahrheit eine tiefere Weisheit, die ihn von anderen unterscheidet. Seine ungewöhnliche Art, sich beim Abstieg eines Berges zu sorgen und beim Aufstieg Freude zu empfinden, wirkt auf seine Begleiter zunächst befremdlich, birgt aber eine bedeutende Lehre.

Till begründet sein Verhalten damit, dass er beim Abstieg bereits an den nächsten Aufstieg denkt und sich deshalb nicht unbekümmert freuen kann. Umgekehrt gibt ihm beim mühsamen Aufstieg die Aussicht auf das bevorstehende Tal neue Kraft. Diese Denkweise überträgt das Gedicht auf das menschliche Leben: Wer in glücklichen Zeiten das kommende Unglück bedenkt, wird nicht übermütig; wer im Leid auf bessere Zeiten hofft, bewahrt seine Zuversicht.

Gellerts Gedicht lehrt somit eine Haltung der Mäßigung und des Gleichmuts. Es fordert dazu auf, sich weder vom Glück blenden noch vom Unglück entmutigen zu lassen, sondern stets beide Seiten des Lebens im Blick zu behalten. Damit bietet es eine zeitlose Lebensweisheit, die sich an das Ideal der Gelassenheit und inneren Ausgeglichenheit anlehnt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.