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Die Nachtigall und der Kuckuck

Von

Die Nachtigall sang einst ihr göttliches Gedicht,
Zu sehn, ob es die Menschen fühlten.
Die Knaben, die im Tale spielten,
Die spielten fort und hörten nicht.
Indem ließ sich der Kuckuck lustig hören,
Und der erhielt ein freudig Ach!
Die Knaben lachten laut und machten ihm zu Ehren
Das schöne Kuckuck zehnmal nach.
„Hörst du?“ sprach er zu Philomelen,
„Den Herren fall‘ ich recht ins Ohr.
Ich denk‘, es wird mir nicht viel fehlen,
Sie ziehn mein Lied dem deinen vor.“

Drauf kam Damöt mit seiner Schöne.
Der Kuckuck schrie sein Lied: sie gingen stolz vorbei.
Nun sang die Meisterin der zauberischen Töne
Vor dem Damöt und seiner Schöne
In einer sanften Melodei.
Sie fühlten die Gewalt der Lieder:
Damöt steht still, und Phyllis setzt sich nieder
Und hört ihr ehrerbietig zu.
Ihr zärtlich Blut fängt an zu wallen;
Ihr Auge läßt vergnügte Zähren fallen.

„O!“ rief die Nachtigall, „da, Schwätzer, lerne du,
Was man erhält, wenn man den Klugen singt.
Der Ausbruch einer stummen Zähre
Bringt Nachtigallen weit mehr Ehre,
Als dir der laute Beifall bringt.“

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Gedicht: Die Nachtigall und der Kuckuck von Christian Fürchtegott Gellert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Nachtigall und der Kuckuck“ von Christian Fürchtegott Gellert thematisiert den Unterschied zwischen anspruchsvoller, tiefgehender Kunst und einfacher, oberflächlicher Unterhaltung. Die Nachtigall steht für die hohe, kunstvolle Dichtung, während der Kuckuck mit seinem eintönigen Ruf die populäre, aber schlichtere Kunstform verkörpert.

Zu Beginn ignorieren die spielenden Knaben den Gesang der Nachtigall, doch der einfache Ruf des Kuckucks erfreut sie und wird begeistert nachgeahmt. Dies lässt den Kuckuck glauben, sein Gesang sei dem der Nachtigall überlegen. Doch als zwei Liebende vorbeikommen, zeigt sich der wahre Unterschied: Der Kuckuck wird ignoriert, während die Nachtigall mit ihrem ergreifenden Gesang die Herzen der Zuhörer bewegt. Ihr Lied bringt die Hörer nicht nur zum Innehalten, sondern rührt sie so sehr, dass ihnen Tränen kommen.

Die Moral des Gedichts liegt in den letzten Zeilen: Die Nachtigall erklärt, dass der stille Ausdruck echter Rührung wertvoller ist als lauter Beifall. Gellert kritisiert damit eine Gesellschaft, die oft das Laute und Einfache bevorzugt, während die wahre Kunst nur von den Verständigen geschätzt wird. Das Gedicht plädiert für die Anerkennung echter, tiefgehender Kunst, die nicht auf schnellen Applaus abzielt, sondern bleibende Wirkung hinterlässt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.