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Der gütige Besuch

Von

Ein offner Kopf, ein muntrer Geist,
Kurz, einer von den feinen Leuten,
Die ihr Beruf zu Neuigkeiten
Nie denken, ewig reden heißt;
Die mit Gewalt es haben wollen,
Daß Kluge närrisch werden sollen;
Ein solcher Schwätzer trat herein,
Dem Dichter den Besuch zu geben.
„O!“ rief er, „welch ein traurig Leben!
Wie? schlafen Sie denn nicht bei Ihren Büchern ein?
So sind Sie denn so ganz allein,
Und müssen gar vor Langerweile lesen?
Ich dacht‘ es wohl, drum kam ich so geschwind.“

„Ich bin“, sprach der Poet, „noch nie allein gewesen
Als seit der Zeit, da Sie zugegen sind.“

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Gedicht: Der gütige Besuch von Christian Fürchtegott Gellert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der gütige Besuch“ von Christian Fürchtegott Gellert spielt mit feiner Ironie auf die Begegnung zwischen einem Dichter und einem geschwätzigen Besucher an. Der Besucher, ein selbstgefälliger Plauderer, hält es für seine Pflicht, den scheinbar einsamen Dichter mit seiner Gesellschaft zu „erfreuen“. Dabei offenbart sich sein oberflächliches Denken: Er betrachtet das stille Lesen als Zeichen von Einsamkeit und Langeweile und glaubt, mit seinem Redefluss Abhilfe zu schaffen.

Die Pointe liegt in der schlagfertigen Antwort des Dichters, die den Besucher unbemerkt bloßstellt. Während der Schwätzer sich für unterhaltsam und gebildet hält, zeigt die Reaktion des Poeten, dass wahre Einsamkeit nicht in der Stille, sondern im erzwungenen Zuhören hohler Worte liegt. Der Dichter war vorher von seinen Büchern und Gedanken umgeben – erst die Präsenz des Besuchers macht ihn wirklich einsam.

Gellert kritisiert mit diesem kurzen, pointierten Gedicht jene Menschen, die unreflektiert reden und glauben, Geist und Unterhaltung bestünden allein aus pausenlosem Sprechen. Das Werk plädiert für die Wertschätzung stiller Reflexion und die Erkenntnis, dass wahre Gesellschaft nicht durch leeres Gerede entsteht, sondern durch sinnvollen Austausch.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.