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Der glückliche Dichter

Von

Ein Dichter, der bei Hofe war –
Bei Hofe? Was? bei Hofe gar?
Wie kam er denn zu dieser Ehre?
Ich wüßte nicht, was ein Poet,
Ein Mensch, der nichts vom Recht und Staat versteht,
Was der bei Hofe nötig wäre?
Was ein Poet bei Hofe nötig ist?
Ja, Freund, du hast wohl recht zu fragen.
Mich ärgert’s, daß August zween Dichter gern vertragen,
Die man doch itzt kaum in den Schulen liest.
Was ist’s denn nun mit zehn Racinen
Und Molieren? Nichts! Gar nichts, der eine macht,
Daß man bei Hofe weint, der andre, daß man lacht,
Das heißt dem Staate trefflich dienen,
Dadurch wird ja kein Groschen eingebracht!

Doch auf die Sache selbst zu kommen.
Ein Dichter, den der Hof in seine Gunst genommen,
Schlief einst bei Tag im Louvre ein. –
Wie so? War er berauscht? Das kann wohl möglich sein:
Man hat in Frankreich guten Wein,
Und Dichter sollen insgemein
Von Wahrheit, Liebe, Witz und Wein
Sehr gute Freund‘ und Kenner sein.
Ich mag die Welt nicht Lügen strafen,
Drum sag‘ ich weder ja noch nein.

G’nug der Poet war eingeschlafen
Und war nicht schön, das man wohl merken muß;
Doch gab die Königin, den Schlaf ihm zu versüßen,
Ihm im Vorbeigehn einen Kuß.
„Was“, rief ein Prinz, „den blassen Mund zu küssen?“ –
„Blaß“, sprach die Königin, „blaß ist er, das ist wahr;
Doch sagt der Mann mit seinem blassen Munde
Mehr Schönes oft in einer Stunde
Als Sie, mein Prinz, durch’s ganze Jahr.“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der glückliche Dichter von Christian Fürchtegott Gellert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der glückliche Dichter“ von Christian Fürchtegott Gellert setzt sich auf humorvolle und ironische Weise mit der Stellung des Dichters in der Gesellschaft auseinander. Es beginnt mit einer skeptischen Frage: Was hat ein Poet überhaupt am Hof zu suchen? Der Sprecher stellt die Nützlichkeit der Dichtung infrage, indem er betont, dass ein Dichter weder in Staatsangelegenheiten bewandert sei noch wirtschaftlichen Nutzen bringe. Diese kritische Haltung spiegelt eine weit verbreitete Ansicht wider, dass Kunst und Poesie zweitrangig gegenüber politischen und finanziellen Interessen seien.

Der zweite Teil des Gedichts erzählt eine Anekdote: Ein vom Hof begünstigter Dichter schläft im Louvre ein, woraufhin die Königin ihm einen Kuss gibt. Die Szene wird mit einem Augenzwinkern dargestellt – es bleibt offen, ob der Dichter betrunken war, was die romantische Geste noch ironischer erscheinen lässt. Doch als ein Prinz sich über den „blassen Mund“ des Poeten mokiert, entgegnet die Königin mit einer scharfsinnigen Bemerkung: Der Dichter sage in einer Stunde mehr Schönes als der Prinz in einem ganzen Jahr. Damit wird die vermeintliche Nutzlosigkeit der Poesie schlagartig widerlegt.

Gellert zeigt mit seinem Gedicht die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Anerkennung der Dichter und ihrem tatsächlichen Wert für Kunst und Kultur. Die Ironie liegt darin, dass der Hof zwar Poeten belächelt, aber dennoch von ihrer Kunst fasziniert ist. Die Königin erkennt die geistige Größe des Dichters an, während der Prinz – als Vertreter der politischen Elite – eher oberflächlich urteilt. So verteidigt das Gedicht auf charmante Weise die Bedeutung der Poesie und stellt sie letztlich sogar über die höfische Macht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.