Der gnädige Löwe
Der Tiere schrecklichsten Despoten
Kam unter Knochenhügeln hingewürgter Toten
Ein Trieb zur Großmut plötzlich an.
Komm, sprach der gnädige Tyrann
Zu allen Tieren, die in Scharen
Vor seiner Majestät voll Angst versammelt waren.
Komm her, beglückter Untertan,
Nimm dieses Beispiel hier von meiner Gnade an!
Seht, diese Knochen schenk‘ ich euch!-
Dir, rief der Tiere sklavisch Reich,
Ist kein Monarch an Gnade gleich!-
Und nur ein Fuchs, der nie den Ränken
Der Schüler Machiavels geglaubt;
Sprach in den Bart: Hm, was man uns geraubt,
Und bis aufs Bein verzehrt, ist leichtlich zu verschenken.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der gnädige Löwe“ von Christian Friedrich Daniel Schubart ist eine scharfsinnige Parodie auf die scheinbare Großmut und die Manipulation von Macht, die oft von Tyrannen zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft genutzt wird. Der „Löwe“, als Symbol des mächtigsten und „schrecklichsten Despoten“, erlebt plötzlich einen Trieb zur „Großmut“. Diese überraschende Wendung, die den tyrannischen Löwen von einem brutalen Herrscher zu einem angeblich gnädigen Monarchen macht, dient als scharfe Kritik an der scheinheiligen Wohltätigkeit, die von Machthabern oft nur zu ihrem eigenen Vorteil ausgeübt wird.
Der Löwe spricht zu seinen „Untertanen“ und verlangt, dass sie seine „Gnade“ annehmen, indem er ihnen die „Knochen“ schenkt, die er selbst von den Toten geraubt hat. Die Geste der „Großmut“ ist in diesem Fall jedoch hohl, da der Löwe den Tieren nur das zurückgibt, was er ihnen vorher genommen hat. Die Tiere, die in „Angst“ vor ihm versammelt sind, preisen ihren Herrscher und beugen sich seiner „Majestät“, was die Sklaverei und Unterdrückung innerhalb des Reiches des Tyrannen widerspiegelt. Sie sind bereit, die scheinbare Wohltat des Löwen als großes Geschenk zu akzeptieren, ohne die wahre Bedeutung dieser „Gnade“ zu hinterfragen.
Die Ironie und der spöttische Ton des Gedichts werden durch die Figur des „Fuchses“ verstärkt, der als einziges Tier die wahren Absichten des Löwen erkennt. Der Fuchs, der nicht an die „Ränken“ von Machiavelli glaubt, sondern den politischen Machtspielchen skeptisch gegenübersteht, sieht die Handlung des Löwen für das, was sie wirklich ist: eine zynische Geste, um die unterdrückten Tiere weiter zu täuschen und zu kontrollieren. Der Fuchs bemerkt mit einem „Hm“, dass es leicht ist, den Tieren etwas zu „verschenken“, das ihnen zuvor gestohlen wurde, was die Doppelmoral und den Manipulationsversuch des Löwen bloßstellt.
Schubarts Gedicht ist eine scharfe Satire auf die Heuchelei und das Missbrauch von Macht durch Tyrannen, die ihre Untertanen mit scheinbaren Wohltaten ruhigstellen, um ihre Herrschaft zu festigen. Der „gnädige Löwe“ wird als Symbol für autoritäre Herrscher dargestellt, die ihren Untertanen mit „Geschenken“ gegenübertreten, die sie zuvor selbst ausgebeutet haben. Der Fuchs, der sich nicht täuschen lässt, steht für den kritischen Denker, der die wahren Absichten hinter den Machtspielchen erkennt und die Oberflächlichkeit der „Gnade“ aufzeigt. Das Gedicht fordert den Leser dazu auf, die scheinbare Wohltätigkeit von Machthabern zu hinterfragen und die wahren Verhältnisse von Macht und Ausbeutung zu erkennen.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.