Kreuzgedicht
Seht der könig könig hängen!
und uns all mitt blutt besprängen
auss der dörner wunden bronnen
ist All unsser heyl geronnen
seine augen schliest Er sacht!
und den Himmel uns aufmacht
Seht Er Streket Seine Hend auss uns freundlichst Zuentfangen!
Hatt an sein Liebheisses Herz uns zu drüken brünst verlangen!
Ja Er neigt sein liebstes haubt uns begihrlichest zu küssen
All Sein Sinn gebärd und werk seyn zu unser Heyl geflissen!
Seiner seitten offen stehen
Macht seyn güttig Herze sehen!
Wann Wir schauen mitt den Sinnen
Sehen Wir uns selbst darinnen!
So Viel striemen so Viel Wunden
Alss an seinen leib gefunden
So Viel Sieg und Segen kwellen
Wollt‘ er unser Seel bestellen,
Zwischen Himel und der Erden
wollt‘ Er auf geopfert werden
Dass Er gott und uns verglihen
uns Zu sterken Er Verblihen
Ja sein sterben hatt das Leben
Mir und Aller Weltt gegeben!
Jesu‘ Christ dein Tod und schmerzen
Leb‘ und schweb‘ mir stett im Herzen!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das „Kreuzgedicht“ von Catharina Regina von Greiffenberg ist eine tiefempfundene, mystische Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu Christi. Im Mittelpunkt steht die Kreuzigung als Erlösungswerk, durch das Christus sein Blut für die Menschheit vergießt. Die drastische Bildsprache – etwa „der Dornen Wunden Bronnen“ – verdeutlicht das körperliche Leiden Christi, während gleichzeitig betont wird, dass aus diesem Schmerz „all unser Heil geronnen“ ist.
Besonders auffällig ist die innige, fast zärtliche Beschreibung Jesu: Er streckt die Hände aus, um die Menschen zu empfangen, neigt sein Haupt, als wolle er sie küssen, und öffnet seine Seite, um sein gütiges Herz sichtbar zu machen. Diese Darstellungsweise zeigt nicht nur das Leiden, sondern auch die unermessliche Liebe Christi, die in seinem Opfer zum Ausdruck kommt. Die Kreuzigung wird so nicht nur als qualvoller Tod beschrieben, sondern als bewusster, liebender Akt der Hingabe.
Die abschließenden Zeilen fassen die zentrale Botschaft zusammen: Durch seinen Tod hat Christus das Leben gebracht, und sein Leiden soll dem Gläubigen stets gegenwärtig sein. Das Gedicht verbindet damit Passionsfrömmigkeit mit einer tiefen persönlichen Andacht. Die bildhafte Sprache und die emotionalen Wendungen machen es zu einem eindrucksvollen Ausdruck barocker Frömmigkeit, in der die mystische Einheit mit Christus im Mittelpunkt steht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.