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Von Liebe

Von

Am Abend sprach das Meer und flüsterte:
Ihr schönen Mägdelein, erzählt mir leise,
Ich will die Liebe wissen! Redet mir
So von der Liebe, gleich als sollte ich
Dran sterben, so als müsst‘ in Ruhe ich
Versinken dran, als könnte sie vorm Sturme
Mich schützen, dass so wütend er nicht mehr
Auf mich sich stürzte! – O! so sprachen da
Die Mägdelein, – Wir wissen wahrlich nicht,
Du armes Meer, ob wir erzählen dürfen;
Denn nimmermehr würdst du in wilder Kraft
Die Schiffe schleudern wollen, und der Felsen
Sorgenumwölbte Stirn mit Schaume peitschen,
Noch wälzen unter jähe, grüne Klippen
Der Sterne Blicken. Glaub‘ uns Meer, Du wolltest
So mächtig nimmer sein, so scheu und spröde,
In deinen Schoß und in dein Herz nicht mehr
Die schlafumfangnen Menschenherzen saugen.
Du würdest dann gleich uns den Himmel ansehn,
Und ihn nicht sehen, lächeln, wie der Wind
Vorüberweht, und weinen, weil die Sonne
Aufgeht! Nein! wir werden nichts erzählen!

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Gedicht: Von Liebe von Carmen Sylva

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Von Liebe“ von Carmen Sylva entwirft eine interessante, fast mystische Konversation zwischen dem Meer und den Mägdelein, bei der das Meer um Wissen über die Liebe bittet. In der ersten Strophe spricht das Meer, eine mächtige und gewaltige Naturkraft, mit einem ungewöhnlich sanften und verletzlichen Ton. Es flüstert den „schönen Mägdelein“ zu, dass es die Liebe „wissen“ möchte – fast so, als ob es von dieser unbekannten, aber verlockenden Kraft angezogen wird. Das Meer spricht von einem Zustand der Hingabe und Ruhe, als wolle es sich in die Liebe vertiefen, als wäre sie ein Schutz gegen die zerstörerische Wut, die es regelmäßig in Form von Stürmen erfährt. Dieser Wunsch nach Liebe stellt das Meer als eine starke, aber auch zerbrechliche Entität dar, die nach etwas sucht, das ihr Halt und Frieden bringen könnte.

In der zweiten Strophe antworten die Mägdelein jedoch zurückhaltend, indem sie darauf hinweisen, dass sie nicht sicher sind, ob sie dem Meer die Geheimnisse der Liebe preisgeben dürfen. Ihre Antwort ist von einer Mischung aus Fürsorglichkeit und Bedacht geprägt, da sie befürchten, dass das Meer seine zerstörerische Kraft verlieren könnte, wenn es die Liebe in ihrer vollen Tiefe versteht. Sie warnen das Meer davor, dass es, wenn es die Liebe wirklich begreifen würde, seine „wilde Kraft“ verlieren und die Fähigkeit, „die Schiffe zu schleudern“ und „die Felsen zu peitschen“, aufgeben könnte. Diese Vorstellungen von der Stärke des Meeres und der Zerstörungskraft werden hier in ein Gleichnis für die Liebe gesetzt, die sowohl eine beruhigende als auch eine mächtige, aber möglicherweise gefährliche Kraft ist.

Die Mägdelein äußern die Sorge, dass das Meer, wenn es die Liebe erlangen würde, in einem Zustand der Harmonie und Sanftheit „den Himmel ansehn“ würde, ohne die Welt in ihrer ursprünglichen Wildheit und Wut zu erkennen. Sie sagen, dass das Meer in dieser sanften Liebe „lächeln“ würde, ohne den Sturm zu kennen, der seine Natur ausmacht, und es würde weinen, weil „die Sonne aufgeht“. Diese poetischen Bilder vermitteln den Gedanken, dass Liebe, wenn sie in ihrer vollen Tiefe verstanden wird, die Gewalt und den Sturm im Leben „zähmen“ könnte, was jedoch den Verlust einer gewissen Vitalität und Kraft mit sich bringen würde.

Die letzte Zeile, in der die Mägdelein sich entscheiden, „nichts zu erzählen“, unterstreicht die Idee, dass die wahre Essenz der Liebe für das Meer, mit seiner gewaltigen, ungezähmten Natur, nicht vollständig zugänglich ist. Es bleibt in seiner eigenen wilden Form, die unvereinbar mit der Zartheit und Sanftheit der Liebe ist, die es sich erhofft. Carmen Sylva beschreibt hier ein faszinierendes Spannungsfeld zwischen zwei gegensätzlichen Kräften – der unbändigen Natur des Meeres und der tiefgründigen, schützenden, aber potenziell lähmenden Kraft der Liebe. Das Gedicht bleibt offen und lässt Raum für die Frage, ob das Meer jemals in der Lage sein könnte, diese Liebe zu verstehen, ohne seine eigene wilde Identität zu verlieren.

Insgesamt reflektiert das Gedicht die Themen von Macht, Zärtlichkeit und dem Spannungsverhältnis zwischen Leidenschaft und Sanftheit. Es zeigt, dass das Streben nach Liebe nicht nur eine Quelle des Trostes und der Harmonie sein kann, sondern auch eine Gefahr für diejenigen, die sich zu sehr von ihr vereinnahmen lassen, wenn sie nicht im Einklang mit ihrer eigenen Natur steht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.