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Der Weisheitszahn

Von

Wart allweil auf den Weisheitszahn,
Die andern fallen aus –
I denk, i zieh mein Pelzrock an
Und geh schön stat nach Haus!

Was hilft denn a dös Warten jetzt,

Dös Herstehn da im Schnee;
Da könn i mi verkältn z’letzt,
Dös Gscheitest ist – i geh!

Zur Einsicht bin i endli glangt,
Den krieg i nimmer – i!
Allweil hat mir vor Weisheit bangt:
An Zahn hats ghabt auf mi!

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Gedicht: Der Weisheitszahn von Carl Spitzweg

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Weisheitszahn“ von Carl Spitzweg behandelt auf humorvolle Weise das menschliche Streben nach Einsicht und Reife – verkleidet in das Bild des sprichwörtlichen Weisheitszahns. Dabei verbindet Spitzweg alltägliche Erfahrung mit einer tieferliegenden, ironisch-philosophischen Reflexion über das Warten auf etwas, das vielleicht nie eintreten wird.

Zu Beginn beschreibt das lyrische Ich das vergebliche Warten auf den Weisheitszahn, während die übrigen Zähne bereits ausfallen. Dies lässt sich sowohl wörtlich als auch metaphorisch lesen: Einerseits geht es um den natürlichen Alterungsprozess, andererseits steht der Weisheitszahn als Symbol für das späte, lebenslange Streben nach Erkenntnis. Die resignierte Entscheidung, den „Pelzrock“ anzuziehen und „schön stat nach Haus“ zu gehen, bringt eine Mischung aus Pragmatismus, Müdigkeit und leiser Ironie zum Ausdruck – das Warten hat sich nicht gelohnt.

In den folgenden Versen steigert sich die Einsicht des Sprechers: Nicht nur ist das Warten sinnlos geworden, es ist sogar gefährlich – eine Verkühlung im Schnee droht. Das Gedicht macht sich damit auf subtile Weise über übertriebenes Ausharren und sinnloses Hoffen lustig. Der Entschluss, zu gehen, erscheint als Akt der Selbsterkenntnis und des gesunden Menschenverstands.

Am Ende steht eine bittere, zugleich befreiende Einsicht: Der Weisheitszahn – und damit die erhoffte Weisheit – wird nie kommen. Die humorvolle Wendung, dass der Zahn offenbar „etwas gegen ihn gehabt“ habe, personifiziert das Symbol und verleiht der Resignation des Sprechers einen selbstironischen Ton. Statt Reife und Erkenntnis bleibt nur das Eingeständnis des Scheiterns – aber auch die Fähigkeit, darüber zu lachen.

Spitzweg gelingt mit wenigen Strophen eine heitere Reflexion über das Älterwerden, das Warten auf Erfüllung und die manchmal späte, aber heilsame Selbsterkenntnis. Der Wiener Dialekt, der lakonische Ton und die Mischung aus Alltagsbeobachtung und symbolischer Tiefe verleihen dem Gedicht seine charmante Doppeldeutigkeit.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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