Berg und Tal
Erst auf den höchsten Zinnen,
Die mühsam du erklommst,
Wird’s hell in deinen Sinnen,
Dem Himmel näher kommst!
Willst du ein Weilchen selig sein,
So leg dich auf den Bauch
dort in die nächste Wiese ’nein,
lnmitt‘ der Blumen Hauch!
So bist der Gottheit näher,
Das Herz, es schlägt dir froh:
Nur meide nahe Späher,
Die finden so was roh!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Berg und Tal“ von Carl Spitzweg ist ein kurzes, pointiertes Naturgedicht, das mit leiser Ironie eine Verbindung zwischen körperlicher Anstrengung, Naturerfahrung und innerer Erhebung herstellt – und dabei zugleich gesellschaftliche Konventionen augenzwinkernd unterläuft. In nur drei Strophen bringt Spitzweg eine kleine Philosophie der Lebensfreude und Selbstgenügsamkeit zum Ausdruck.
Die erste Strophe beschreibt das Erklimmen eines Berges als mühsamen, aber lohnenswerten Prozess: Erst auf den „höchsten Zinnen“ wird es „hell in deinen Sinnen“, das heißt: Die körperliche Anstrengung führt zu einer geistigen Klarheit. Die Nähe zum Himmel steht hier sinnbildlich für ein erhöhtes Bewusstsein, vielleicht auch für eine spirituelle oder existenzielle Erfahrung.
In der zweiten Strophe schlägt das Gedicht einen überraschenden Tonwechsel ein. Statt weiterer philosophischer Erhabenheit folgt ein ganz körperlich-sinnlicher Ratschlag: Will man „ein Weilchen selig sein“, so soll man sich einfach bäuchlings in die Wiese legen. Der Duft der Blumen, die Ruhe, das Einssein mit der Natur – all das wird zur Quelle des Glücks. Spitzweg verbindet hier das Einfache mit dem Erhabenen und stellt die kleine, persönliche Naturerfahrung über abstrakte Höhenflüge.
Die dritte Strophe rundet das Gedicht mit feinem Humor ab: Die göttliche Nähe in der Natur kann schnell gestört werden – durch gesellschaftliche Beobachtung. Wer sich genüsslich in eine Wiese legt, läuft Gefahr, von „Spähern“ als ungebührlich oder „roh“ wahrgenommen zu werden. Hier schimmert Spitzwegs kritischer Blick auf bürgerliche Konventionen durch, wie man ihn auch aus seinen Gemälden kennt: Die natürliche Seligkeit des Einzelnen steht in latentem Konflikt mit sozialen Erwartungen.
„Berg und Tal“ ist damit ein kleines Lehrstück über die Kraft der Naturerfahrung, die Bedeutung des Moments und den Mut zur Unkonventionalität. Spitzweg vereint in wenigen Versen Naturidylle, Lebensklugheit und eine feine Ironie, die das Gedicht sowohl liebenswürdig als auch nachdenklich macht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.