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Sternlose Nacht

Von

Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.

Ich bin ein Erlenstumpf,
Dran bleicher Moder glimmert,
Ein gärend fauler Sumpf,
Wo scheu das Irrlicht flimmert.

Unheimlich düstre Welt,
Du Tummelplatz für Toren!
Bin gänzlich unbestellt
In dich hineingeboren.

Sag an, was hast du für
Mit deinem bangen Kinde?
Und hast du keine Tür,
Wo ich den Ausgang finde?

Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.

Mein Leben schäumend rann,
Ein Sturzbach zwischen Steinen.
Was ich dabei gewann?
O bitter möcht‘ ich weinen!

Einst ward ich schmuck und neu
Als Menschlein eingekleidet.
Doch alles Fleisch ist Heu,
Und horch, die Sense schneidet.

Ach wohl, die Jugend reicht
Den süßen Taumelbecher.
Doch Rausch und Minne weicht,
Und Reue weckt den Zecher.

Um jeden Bissen Brot
Muss hart der Froner schanzen;
Sonst hockt die hagre Not
Auf seinem leeren Ranzen.

Mach dich nicht gar zu breit,
Du Herr im güldnen Hause!
Ohn End ist Ewigkeit,
Und schmal die letzte Klause.

Poch nicht auf Ehr und Zier!
Fortuna hat’s geliehen.
Der Hobler wird auch dir
Ein Linnenkleid anziehen,

Zum Pfühle untern Kopf
Zwei Handvoll Späne schieben…
Nun denke nach, du Tropf,
Wie närrisch du’s getrieben!

Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.

Und wie ich ratlos bang
Ins dunkle Rätsel staune,
Horch, sanfter Wiegensang,
Ein wogend Waldgeraune:

„Nur stille, Menschenkind!
Was helfen deine Sorgen?
Die Augen schließe lind!
Derweilen wächst das Morgen.“

Die Nacht hat ihren Tau,
Auf dass der Maien blühe,
Und aus dem Wolkengrau
Entsprießt die Purpurfrühe.

Soll nicht der Sagenstein,
Wo wüste Tannen dunkeln,
Ein Königspalast sein
Und einst entzaubert funkeln?

Zuvor im Puppenkleid,
Will diese trübe Erden
Am Glanz der Ewigkeit
Ein Himmelsfalter werden.

Und ob die Wolke hüllt
Den letzten Sternenfunken,
Dein Traum wird noch erfüllt:
Du schaust – von Sternen trunken.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Sternlose Nacht von Bruno Wille

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sternlose Nacht“ von Bruno Wille ist eine düstere, existentialistische Reflexion über das menschliche Leben, die jedoch am Ende in eine hoffnungsvolle Vision mündet. In eindringlichen Bildern beschreibt der Sprecher seine Entfremdung von der Welt, seine existenzielle Ratlosigkeit und seine Desillusionierung über das Leben – und findet schließlich Trost in einem sanften Naturbild, das die Wiedergeburt und die Verwandlung verspricht.

Der wiederholte Refrain „Gewölk hat umgebracht / Den letzten Sternenfunken“ zieht sich leitmotivisch durch das Gedicht und symbolisiert den Verlust von Orientierung, Licht und Hoffnung. Die „rabenschwarze Nacht“, in der alles versinkt, steht für einen Zustand innerer Dunkelheit und Sinnlosigkeit. Das lyrische Ich erlebt sich selbst als Verfallenes, als „Erlenstumpf“ oder „fauler Sumpf“, was seine tiefe Selbstentfremdung und Lebensmüdigkeit unterstreicht.

Die mittleren Strophen entfalten eine sozialkritische Dimension: Der Mensch wird als Leidender und Getäuschter beschrieben. Die Jugend verheißt Genuss und Liebe, doch bald folgen Enttäuschung, Reue und Mühsal. Der Gegensatz zwischen Reichen und Armen wird betont, doch auch die Reichen entkommen dem Tod nicht – „Der Hobler wird auch dir / Ein Linnenkleid anziehen“. Diese Bildsprache verbindet das individuelle Leid mit einer umfassenden Kritik an sozialer Ungerechtigkeit und menschlicher Eitelkeit.

In den letzten Strophen erfährt das Gedicht jedoch eine überraschende Wendung. Auf die Frage nach dem Sinn und Ausgang aus der „unheimlich düstern Welt“ antwortet die Natur selbst – in Gestalt eines beruhigenden Waldgeräusches, das einem „Wiegensang“ gleicht. Die Nacht wird nun als notwendige Voraussetzung für neues Leben gedeutet, ihr „Tau“ lässt den „Maien blühen“. Das zuvor als unentrinnbares Schicksal erlebte Dunkel wird in einen kosmischen Kreislauf der Verwandlung und Hoffnung eingebettet.

„Sternlose Nacht“ zeigt also den Weg vom existenziellen Zweifel zur spirituellen Versöhnung. Bruno Wille entwirft ein Bild des Menschen als Suchenden in einer oft trostlosen Welt, findet aber in der Natur eine symbolische Antwort, die über das Sichtbare hinausweist. Aus der Dunkelheit wächst die Morgenröte, aus der toten Erde ein „Himmelsfalter“ – ein starkes Bild für seelische Erneuerung und Hoffnung jenseits der irdischen Beschränkungen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.