Einsamer Baum
Zersplissen ist mein Haupt
Von schwarzem Wolkenwetter;
Herbstwind und Regen raubt
Die abgestorbenen Blätter:
So rag‘ ich ganz allein
Aus ödem Heidekraut
Und träume von dem Hain,
Der weit verloren blaut.
Oft, wenn mit grimmer Wucht
Mich packt ein nächtlich Brausen,
Raff ich mit jähem Grausen
Zusammen mich zur Flucht;
Doch halten zähe Schollen
Mich an den Wurzeln fest.-
Da steh‘ ich nun mit Grollen,
Wild schüttelnd mein Geäst…
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Einsamer Baum“ von Bruno Wille beschreibt eine Naturmetapher, die die Einsamkeit und das Leid des lyrischen Ichs in bildhafter Weise widerspiegelt. Der Baum, dessen „Haupt“ von „schwarzem Wolkenwetter“ zersplittert ist, steht als Symbol für den Schmerz und die Zerrissenheit des Sprechers. Der Herbstwind und der Regen rauben ihm die „abgestorbenen Blätter“, was die Vergänglichkeit und den Verlust der Lebenskraft symbolisiert. Der Baum scheint ein Leben ohne Hoffnung zu führen, ohne die Möglichkeit, sich von den widrigen Umständen zu befreien.
Das Bild des Baumes, der „ganz allein“ aus dem „ödem Heidekraut“ ragend steht, verstärkt das Gefühl der Isolation und Einsamkeit. Der Baum, der einst ein Teil eines „Hains“ war, träumt von dieser verlorenen Gemeinschaft. Diese Erinnerung an den „Hain“, der weit verloren ist, deutet auf eine vergangene Zeit der Zugehörigkeit hin, die jetzt unerreichbar scheint. Der Baum steht nun in seiner Einsamkeit und trägt die Last der Vergänglichkeit in sich, was seine Sehnsucht nach früherer Verbundenheit mit der Natur widerspiegelt.
Der „Herbstwind“ und das „nächtlich Brausen“, das den Baum mit „grimmer Wucht“ erfasst, versinnbildlichen das innere Unheil und die äußeren Kräfte, die auf den Baum (und somit auf das lyrische Ich) einwirken. Der Baum versucht zu fliehen, doch die „zähen Schollen“ halten ihn an seinen „Wurzeln“ fest, was seine Ohnmacht und das Fehlen eines Auswegs symbolisiert. Diese Zerrissenheit zwischen dem Drang nach Flucht und der unfreiwilligen Bindung an seine Wurzeln zeigt die innere Zerrissenheit und den Konflikt des Sprechers. Er ist zwar von den äußeren Kräften bedroht, kann sich jedoch nicht befreien.
Am Ende des Gedichts bleibt der Baum mit „Grollen“ und „wild schüttelndem Geäst“ zurück, was auf die Wut und die Verzweiflung hinweist, die der Sprecher angesichts seiner Ausweglosigkeit empfindet. Das Bild des schüttelnden Baumes könnte als ein Ausdruck des Widerstands gegen die Unvermeidlichkeit und die Einsamkeit verstanden werden, jedoch bleibt der Baum – und der Sprecher – gefangen in seinem Zustand der Isolation und des Schmerzes. Das Gedicht endet somit mit einem Bild der Wildheit und der Auflehnung, doch ohne eine echte Aussicht auf Erlösung.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.