Einem Weltling
Fruchtlos hab‘ in Schmerzenstoben
Ich vor dir geweint, geras’t;
Und die Welt, sie wird dich loben,
Daß du mich verlassen hast.
Rühmend wird sie zu dir sagen:
„Kluger Mann, der, stark und fest,
Durch gebrochner Seelen Klagen
Nimmer sich beirren läßt;“
„Dessen Wille gleich dem Pfeile
Rastlos fliegt zum Ziele fort,
Ob er auch in seiner Eile
Ein befreundet Herz durchbohrt!“
„Kluger Mann, der zum Beleid’gen
Solche Opfer sich erkürt,
Die zu rächen, zu vertheid’gen
Sich kein Mensch auf Erden rührt!“
„Kluger Mann, der alte Bande,
Wenn sie lästig werden, bricht!“ –
Sag! fühlst du die ew’ge Schande,
Die aus solchem Lobe spricht?
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Einem Weltling“ von Betty Paoli richtet sich an eine Person, die sich von der Sprecherin entfernt hat und deren Verhalten von der Welt gelobt wird. Die Sprecherin beschreibt in einer sarkastischen und bitteren Weise, wie der „Weltling“ für sein scheinbar kluges und starkes Verhalten gepriesen wird, obwohl er sie in ihrer Not verlassen hat. Die ersten Strophen reflektieren den Schmerz und die Trauer der Sprecherin, die in der Welt von anderen als gescheitert und als jemand betrachtet wird, der verlassen wurde. Doch statt Mitgefühl zu erfahren, wird der Weltling für seine Entschlossenheit und die scheinbare Unerschütterlichkeit seiner Entscheidungen gelobt.
Die Welt, so wie sie im Gedicht dargestellt wird, preist den „klugen Mann“, der seine Ziele verfolgt, ohne sich von Gefühlen oder emotionalen Bindungen ablenken zu lassen. Diese kalte, rationale Haltung wird als Stärke gefeiert, und es wird ihm zugeschrieben, dass er sich nicht von den Klagen oder dem Schmerz derjenigen, die ihm am Herzen liegen, beeinflussen lässt. Der Wille des „Weltlings“, der „gleich dem Pfeile“ auf sein Ziel zuschießt, wird als Tugend hingestellt, obwohl er durch diesen Eifer Beziehungen zerstört und das Herz eines „befreundeten“ Menschen verletzt.
Die Sprecherin kritisiert jedoch diese Vorstellung von Stärke und Rationalität, die von der Welt anerkannt wird. Sie weist darauf hin, dass der „Weltling“ durch seine egoistischen Entscheidungen nicht nur ein befreundetes Herz durchbohrt, sondern auch „alte Bande“ bricht, ohne sich um die Konsequenzen seiner Taten zu kümmern. In diesem kritischen Licht wird der Lobgesang der Welt auf den „klugen Mann“ zu einer bloßen Huldigung von Gefühllosigkeit und Rücksichtslosigkeit. Die Frage am Ende des Gedichts – „Fühlst du die ew’ge Schande, die aus solchem Lobe spricht?“ – zeigt die moralische Verurteilung dieses Verhaltens.
Das Gedicht thematisiert die Kluft zwischen der oberflächlichen Anerkennung durch die Gesellschaft und den tieferen, moralischen Werten, die im Hintergrund stehen. Der „Weltling“ mag in den Augen der Welt als erfolgreicher und rationaler Mann erscheinen, doch die Sprecherin macht klar, dass diese Anerkennung auf einem falschen Verständnis von Stärke und Menschlichkeit basiert. Sie stellt in Frage, ob diese scheinbare Stärke tatsächlich lobenswert ist oder ob sie nicht vielmehr eine „ewige Schande“ darstellt, die den wahren Wert eines Menschen verkennt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.