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Eilt die Sonne…
Eilt die Sonne nieder zu dem Abend,
Löscht das kühle Blau in Purpurgluten,
Dämmrungsruhe trinken alle Gipfel.
Jauchzt die Flut hernieder silberschäumend,
Wallt gelassen nach verbrauster Jugend,
Wiegt der Sterne Bild im Wogenspiegel.
Hängt der Adler, ruhend hoch in Lüften,
Unbeweglich wie in tiefem Schlummer;
Regt kein Zweig sich, schweigen alle Winde.
Lächelnd mühelos in Götterrhythmen,
Wie den Nebel Himmelsglanz durchschreitet,
Schreitet Helios schwebend über Fluren.
Feucht vom Zaubertau der heil’gen Lippen
Strömt sein Lied den Geist von allen Geistern
Strömt die Kraft von allen Kräften nieder
In der Zeiten Schicksalsmelodien,
Die harmonisch ineinander spielen
Wie in Blumen hell und dunkle Farben.
Und verjüngter Weisheit frische Gipfel,
Hebt er aus dem Chaos alter Lügen
Aufwärts zu dem Geist der Ideale.
Wiegt dann sanft die Blumen an dem Ufer,
Die sein Lied von süßem Schlummer weckte,
Wieder durch ein süßes Lied in Schlummer.
Hätt ich nicht gesehen und gestaunet,
Hätt ich nicht dem Göttlichen gelauschet,
Und ich säh den heil’gen Glanz der Blumen,
Säh des frühen Morgens Lebensfülle,
Die Natur wie neugeboren atmet,
Wüßt ich doch, es ist kein Traum gewesen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Eilt die Sonne…“ von Bettina von Arnim ist eine hymnisch-meditative Dichtung über die göttliche Ordnung und Schönheit der Natur, in der die Sonne – als mythische Figur Helios – zum Symbol des schöpferischen Geistes wird. In einer Folge von ruhigen, bildgewaltigen Strophen beschreibt das lyrische Ich den Übergang vom Tag zur Nacht als ein zutiefst spirituelles Erlebnis, das zur Erkenntnis und inneren Erneuerung führt.
Zu Beginn wird die untergehende Sonne beschrieben, wie sie das kühle Blau des Himmels in glutroten Abendfarben auflöst. Diese Verwandlung geschieht nicht dramatisch, sondern still und friedlich – „Dämmrungsruhe trinken alle Gipfel“. Auch das Wasser, das silbern schäumt, spiegelt den Wechsel wider: Es steht für vergangene Jugend, für Bewegung und Erinnerung, aber auch für ein gelassenes Zur-Ruhe-Kommen. Die Natur erstarrt nicht, sondern tritt in einen Zustand kontemplativer Harmonie.
Zentral ist die Figur des Helios, der als göttlicher Sänger erscheint, dessen Lied zugleich die geistige Kraft aller Dinge verkörpert. In erhabenen Bildern wird geschildert, wie dieser Gesang durch die Schöpfung fließt – wie ein Zauber, ein „Lied von den heil’gen Lippen“, das das Universum in einer alles durchdringenden Harmonie erklingen lässt. Hier mischen sich antike Mythologie und romantische Naturphilosophie: Helios steht für die Idee eines universellen, geistigen Prinzips, das durch Schönheit und Ordnung wirksam ist.
Die Sonne wird nicht nur als Lichtspenderin, sondern als Schöpferin von Wahrheit, Erkenntnis und Idealität dargestellt. Sie hebt – als Bild geistiger Klarheit – „aus dem Chaos alter Lügen“ eine neue, „verjüngte Weisheit“. Dieses Bild verweist auf den Wunsch nach Erneuerung und Überwindung des Alten durch Erkenntnis. Die durch Helios erweckten Blumen – Symbole für Natur und Seele – werden schließlich wieder in einen „süßen Schlummer“ versetzt, was auf einen ewigen Kreislauf von Erwachen und Ruhen, Inspiration und Frieden hinweist.
In den letzten Versen wird das Gedicht persönlich: Das lyrische Ich reflektiert über seine Erfahrung, die zunächst traumhaft erscheint. Doch die Lebendigkeit des Morgens, die empfundene Fülle der Natur und der „heil’ge Glanz der Blumen“ bestätigen: Es war kein Traum, sondern eine wahre, tiefgehende Berührung mit dem Göttlichen. „Eilt die Sonne…“ ist somit eine poetische Vision der Einheit zwischen Mensch, Natur und kosmischem Geist, getragen von einer Sprache, die das Erhabene in leisen, musikalischen Bildern einfängt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.