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Das Königslied
Es lag ein junger König
In seinem guldenen Bett.
Die Kron drückt ihn nicht wenig,
Die er auf dem Haupte hätt.
Doch drückten ihn wohl im Herzen
Die Liebesgedanken noch mehr.
Er sprach zu seinem Diener:
„Ruf mir den Narren her!
Er soll ein Liedlein mir singen,
Des Herzens Gram bezwingen.“
Der Narre kam gelaufen
Mit seiner güldnen Harfen:
„Herr König, weil die Sinnen
So schwer und glühend dir sind,
Will ich ein Liedlein singen
Vom leichten kühlen Wind.“
„Vom Winde willst du singen,
Von kühler Nächte Duft?
Laß sein, ich will’s nicht hören,
Will selber an die Luft.
Den Fels will ich erklimmen
In dieser grausen Nacht,
Und Lieder will ich dort singen,
Bis daß der Tag erwacht.“
„Laß bleiben, laß bleiben, Herr König,
Die Wind haben keinen Respekt,
Die achten dein gar wenig,
Sie werfen dich in Dreck.“
„Und schleudern sie mich vom Felsen
Wohl tief in das Wasser hinein,
So mögen sie doch auch wohl kühlen
Die Gluten im Herzen mein.“
„Ei König, wie willst du gehen,
Barfuß und ohne Zierd,
Ich bitt, laß mich erflehen,
Kleid dich, wie dir’s gebührt.
Bind an die Füße Sandalen,
Häng um die goldene Kett,
Und deine nackten Schultern
Mit dem roten Purpur bedeck,
Und in die Augen drücke
Dir tief die schwere Kron,
Damit sie dir nicht trage
Der erste Wind davon.
Und um die Lenden gürte
Dir fest dein stählern Schwert,
Damit den Winden ein König
Zum leichtesten Spiel nicht werd!
Und in den Gürtel stecke
Dir noch den Zepter dein
Und um die Schulter hänge
Dir noch die Harfen mein.“
Da kann der König nicht gehen,
Es zog ihn schwer zurück,
Da trat er in seinem Zorne
Die Harfen in tausend Stück.
Der Narre begann zu weinen,
Da er die Harfen sah
In tausend Stücken liegen,
Die ach so schöne war.
Der König den Fels erklomm,
Wo tausend Bächlein flossen
Und unten in einem Strom
Zusammen sich ergossen.
Die Winde hatten gesehen
In dunkel schwarzer Nacht
Den roten Purpur wehen
Und auch der Krone Pracht.
Sie breiten aus die Schwingen
Und kommen alle herbei,
Zu hören, wie er tät singen,
Zu sehen sein herrliches Kleid.
Und als sie hatten gehöret
Das trübe Königslied,
Da hatten sie ihren Gefallen,
Es sollt ihnen werden ein Spiel.
Der eine tat hoch aufbrausen
In seinem Purpur rot,
Der andre zog durch die Krone
Die Locken wild hervor.
Der dritt tät mit dem Schwerte
Wohl klappern hin und her,
Der Hirt zog ihn an der Kette
Wie an dem Zaum ein Pferd.
Er muß die Lethe trinken
Mit schwerem Atemzug.
Muß immer tiefer sinken
In seinem grausen Flug.
Um Hilf der König schreiet,
Die Winde sprechen ihm Hohn,
Sie tragen ihn vom Felsen
Herunter in den Strom.
Da eben stand der Narre,
Der sah die Winde fliegen
Und in dem nassen Grabe
Sah er den König liegen.
Da wandelt er sich um
In lauter grün Gezweig,
Das schöne Blüten trug
Und goldne Frücht zugleich.
Ein Adler kam geflogen
Und baut sein kühnes Nest,
Hoch in das grün Gezweige,
Eh Wurzel es gefaßt.
Die Wurzel faßt es tief
Ins jungen Königs Herz,
Der eben fest gar schlief
Und nimmer fühlte Schmerz.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das Königslied“ von Bettina von Arnim erzählt in märchenhafter Sprache eine tief symbolische Geschichte vom inneren Leiden eines Königs, seinem Streben nach Erlösung und der Verwandlung durch Tod und Natur. Es ist zugleich eine Allegorie auf Macht, Einsamkeit, seelischen Schmerz und den möglichen Trost, den Natur und Dichtung spenden können – wenn auch erst jenseits des Lebens.
Im Zentrum steht ein junger König, der trotz Reichtum und Macht innerlich zerrissen ist. Die „guldene Krone“ auf seinem Haupt steht einerseits für seine weltliche Stellung, drückt ihn jedoch auch – ein Sinnbild für die Last der Verantwortung und die Unfähigkeit, persönliches Glück zu finden. Sein seelischer Schmerz, besonders die „Liebesgedanken“, wiegen schwerer als jede politische Bürde. Als Reaktion ruft er seinen Narren – traditionell die einzige Figur am Hof, die dem Herrscher Wahrheit und Trost spenden darf – und bittet um ein Lied, das seine seelischen Qualen lindern soll.
Der Narr bietet ein Lied über den „leichten kühlen Wind“ an – ein Bild für Freiheit, Veränderung und geistige Frische. Doch der König lehnt das bloße Zuhören ab und will sich selbst hinaus in die Nacht begeben, hinauf auf den Felsen, um zu singen und Erlösung zu finden. In einer grotesken Szene rät ihm der Narr, sich mit all seinen königlichen Insignien zu bekleiden – nicht aus Ehrfurcht, sondern ironisch: Die Last der Macht soll ihn daran hindern, wirklich zu fliegen, sich von allem zu lösen. Doch genau das ist die Tragik: Das Symbol der Macht verhindert die Befreiung.
Der König trotzt dieser Mahnung, erklimmt den Felsen und singt sein Lied – ein Ausdruck seiner tiefsten inneren Not. Die Winde, personifiziert als eigensinnige, fast spöttische Kräfte, hören sein Klagelied und beginnen, mit seinen königlichen Attributen zu spielen: Schwert, Krone, Purpur werden zu Objekten eines grausamen Spiels. Schließlich reißen sie ihn in die Tiefe, in einen Fluss – möglicherweise die Lethe, der mythologische Fluss des Vergessens. Der König ertrinkt, sein Ruf nach Hilfe bleibt unbeantwortet.
Doch das Gedicht endet nicht mit der Katastrophe, sondern mit einer tröstlichen Metamorphose. Der Narr, Zeuge des Untergangs, verwandelt sich in einen blühenden Baum, der goldene Früchte trägt. Ein Adler – Symbol königlicher Erneuerung und geistiger Höhe – baut in ihm sein Nest. Die Wurzeln des Baumes greifen in das Herz des verstorbenen Königs, der nun „fest gar schlief“ und „nimmer fühlte Schmerz“. Der Schmerz endet nicht durch Macht oder Flucht, sondern erst durch eine stille Verschmelzung mit der Natur.
„Das Königslied“ ist somit ein vielschichtiges Gedicht über das Scheitern der Macht angesichts seelischer Not, über die ironische Rolle der Wahrheit (verkörpert durch den Narren), und über den tröstenden Gedanken, dass Schmerz, wenn auch nicht im Leben, so doch in der Natur seine Auflösung finden kann.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.