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Beichte

Von

1.

Ich liege, den Kopf in die Rechte gestützt,
Mein eigenes Herz hör′ ich pochen,
Und grüble, womit ich geschadet, genützt
Und was ich gefehlt, was verbrochen.

In buntestem Reigen der Seele vorbei
Geflattert kommen die Schwächen.
Weiß Einer sich gänzlich von Sünden frei,
Der möge den Stab mir brechen.

Beim Safte der Reben von Rauenthal
Von Jugendlust überzuschäumen,
In guter Gesellschaft beim leckersten Mahl
Eine Predigt gern zu versäumen;

Ja, seh′ ich Einen ein feines Gericht
Wie Kartoffeln und Bohnen verschlucken,
Mich seiner zu schämen und über den Wicht
Verächtlich die Achseln zu zucken;

Im prächtigen Saal, wo von Kerzen umflammt
Ringsumher auf den schwellenden Sitzen
Die reizendsten Frauen in Atlas und Sammt
Diamantengeschmückt mich umblitzen,

Berauscht von des Walzers Tonkatarakt
Mit der Schönsten im Wirbel zu fliegen
Und den Arm, ihres wogenden Busens Tact
Mitfühlend, ums Mieder zu schmiegen,

Zu träumen daß Ich mit ihr in der Welt
Als gebietender König allein sei
Bis die nächste vielleicht mir noch besser gefällt
Und ich wähne daß diese nun mein sei;

An der Leidenschaft Flamme, verschmähend die Flucht
Mein Poetenherze zu wärmen
Und die Kunde der Seele der Frau mir als Frucht
Bis zur Fürstin hinauf zu erschwärmen;

Ja – bekenn′ ich es nur! – wohl mitunter zu weit
Mich im sicheren Stolze zu wagen,
Zwar mit Vorbedacht nie, doch zu lohnen mit Leid
Eine Reihe von reizenden Tagen:

So, mit ewig nach Allgenuß hungriger Brust,
Mehr um Glück als um Frieden zu streiten,
Nur zu gern auch dem Sturm der irdischen Lust
Die Flügel entgegen zu breiten,

Bei den Frohen beredt, bei den Traurigen stumm,
In der Kunst nur stät und geduldig:
So zu leben und selten zu fragen warum,
Deß Allen bekenn′ ich mich schuldig.

2.

Doch nun fragt mich der Freund: Was schweigest du still
Wann die Meute sich kläffend ereifert,
Dich zähnefletschend zerfleischen will,
Dich mit giftiger Galle begeifert?

»Verteidige dich und wolle nicht stolz
Nur immer dir selber genügen;
Schon manch ein guter Name zerschmolz
Am höllischen Feuer der Lügen.«

So wendet sich nun in schlafloser Nacht
An Dich der zweifelnd besorgte,
An Dich, unbegreiflich gewisseste Macht
Der ich, wachend, noch immer gehorchte.

Verlangt es das Wort das Du mir vertraut
Damit ich es sei und es sage,
Daß die Schreier des Marktes mit einem Laut
Ich zerschmettert zu Boden schlage?

O sag′ es, ob dennoch mein Wesen gleicht
Des Spottbildes grauser Verrenkung?
Verlor ich die Fühlung und irr′t ich vielleicht
Vom Wege trotz deiner Lenkung?

So rede nun, treuester Seelenhirt,
Aus mir selber und doch unbestechlich. –
»Die Buße wird lehren wo du geirrt,
Denn auch Du bist schwach und gebrechlich.

»Indem du sie trägst erkenne die Schuld
Und lerne sie künftig vermeiden;
Jetzt übe dich gern in stummer Geduld
Und lächelnd laß dich beneiden.

»Woran du geglaubt, das hast du ja dreist
Auch bekannt ohne Beben und Bangen;
Die Sünde wider den heiligen Geist
Hast du noch niemals begangen.

»Wie vor Kurzem allmächtiges Willkürgebot
Die Wahrheit geknechtet, doch fruchtlos,
Wird Gesetz nun und Sitte vom Pöbel bedroht;
Denn, entfesselt, wünscht er sich zuchtlos.

»Hast du damals gefürchtet Verbannung und Haft?
Nein, du sprachest hinaus was du dachtest.
Laß sie faseln, daß du die Geisteskraft
Für Gold und Titel verpachtest.

»Laß sie füllen mit Fäden von Lügenwerg
Ihre wüthig schnurrende Spindel!
Vertheidigen darf sich nur ein Zwerg
Gegen solches Lumpengesindel.«

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Beichte von Wilhelm Jordan

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Beichte“ von Wilhelm Jordan ist eine tiefgründige Reflexion über das eigene Leben, die Sünden und die Suche nach Selbstvergebung und moralischer Führung. Das Gedicht ist in zwei Teile unterteilt, wobei der erste Teil eine Auflistung persönlicher „Verbrechen“ und Fehltritte darstellt, während der zweite Teil einen inneren Dialog mit einem vertrauten Freund oder einer höheren Macht, möglicherweise dem eigenen Gewissen, offenbart.

Im ersten Teil der „Beichte“ rekapituliert der Autor eine Reihe von weltlichen Verfehlungen, die von kleinen Schwächen bis hin zu gröberen Verstößen gegen moralische Prinzipien reichen. Er gesteht, weltlichen Genüssen wie Wein, Gesellschaft und dem Genuss von gutem Essen zugetan zu sein. Er räumt ein, sich manchmal über andere zu erheben und sich von den Reizen der Welt, insbesondere von Frauen und dem Tanz, verführen zu lassen. Er gesteht auch, dass er in seinen Beziehungen oberflächlich war und nach kurzfristigem Glück suchte, anstatt dauerhafte Bindungen einzugehen. Der Dichter präsentiert sich als jemand, der der Leidenschaft nachhing und die Kunst der Dichtung nutzte, um seine Erfahrungen zu verarbeiten und zu veredeln. Er bekennt sich schuldig, mit „ewig nach Allgenuß hungriger Brust“ durch das Leben gegangen zu sein.

Der zweite Teil des Gedichts stellt eine Reaktion auf die Selbstanklage im ersten Teil dar. Der Dichter wird von einem Freund, der hier als Stimme der Vernunft und des Gewissens fungiert, gefragt, warum er sich nicht verteidigt gegen die Kritik und den Hass, der ihm entgegenschlägt. Die folgenden Strophen stellen einen inneren Dialog dar, in dem der Dichter Ratschläge und Trost von einer inneren Autorität, die als „treuester Seelenhirt“ bezeichnet wird, empfängt. Dieser Dialog bekräftigt, dass der Dichter weder die Wahrheit verschwiegen noch den heiligen Geist verleugnet hat. Diese „innere Stimme“ ermahnt ihn zur Geduld, zum Verzeihen und dazu, die Kritik der Welt zu ignorieren.

Die Struktur des Gedichts unterstützt seine inhaltliche Aussage. Der erste Teil ist von einer melancholischen Aufrichtigkeit geprägt, in dem die geständnishafte Auflistung der Sünden eine Atmosphäre der Selbstbefragung schafft. Die Verwendung von bildhafter Sprache und detaillierten Beschreibungen von Alltagsszenen machen das Gedicht lebendig und nachvollziehbar. Der zweite Teil, der Dialog, ist von einer größeren Klarheit und Sicherheit geprägt, was durch die direkten Antworten und die Bestätigung des Dichters zum Ausdruck kommt. Der Wechsel von der Ich-Perspektive zur Dialogform spiegelt den inneren Kampf des Dichters wider, der zwischen Selbstverurteilung und der Suche nach spiritueller Führung schwankt.

Insgesamt ist „Beichte“ ein komplexes und bewegendes Gedicht, das die menschliche Natur in ihrer Ambivalenz darstellt. Es zeigt die Neigung zur Sünde und die Sehnsucht nach Erlösung, die innere Zerrissenheit zwischen Selbstzweifeln und Selbstbehauptung. Jordan reflektiert über die Bedeutung von Schuld, Vergebung und die Suche nach innerem Frieden inmitten der Wirren des Lebens. Das Gedicht ist ein Appell an die Selbstreflexion und an die Hoffnung auf Erlösung durch die Akzeptanz der eigenen Unvollkommenheit und die Treue zu den eigenen Überzeugungen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.