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An einen Kunstrichter

Von

Ward Kraft und Genius dir angeboren,
Und modelst doch an dir mit feiger Qual?
Aus deinem Innern nimm dein Ideal,
Sonst geht dein Selbst an einen Traum verloren.
Den Geist des Dichters adelt die Natur.
Bist du’s, so hemme nichts, was in dir wogt und lodert;
Stell’s dar, und wandle kühn auch außer Bahn und Spur.
Doch wenn die Kunst Vollendung fodert,
So gieb sie auf:
die
ziemt den Göttern nur.
Natur ist Eins und Alles. Du erkennest
Die Himmlische nur träumend; darum wähnt
Dein grübelnder Verstand, daß du ihr Werk verschönt
Im Werke deines Hirnes spiegeln könnest.
Durchforsch‘ in stiller Einfalt dieses All;
Durchforsche, meistre nicht, und faß in deinen Busen
Der Dinge reines Bild. Die göttlichste der Musen
Ist Wahrheit: ohne sie ist dein Gedicht nur Schall.
Die Rede gab uns eine weise Güte
Zum Band der Liebe; Mittheilung im Schmerz,
Und Mittheilung in Freude heischt das Herz,
Und holde Poesie ist Duft der Red‘ und Blüthe.
Wer tiefes, eignes Leben in sich trägt,
Der athm‘ es aus, und frage keinen Richter,
Und wiße dann, er sei’s, nicht
der
sei Dichter,
Des weiser Kopf Gefühle mißt und wägt.

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Gedicht: An einen Kunstrichter von August Wilhelm Schlegel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An einen Kunstrichter“ von August Wilhelm Schlegel ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle des Kunstkritikers und der Künstlichkeit der Kunstproduktion, die oft von äußeren Normen und Bewertungen geprägt wird. Schlegel fordert den Dichter dazu auf, sich von diesen äußeren Einflüssen zu befreien und in sich selbst die wahre Quelle für Kunst und Inspiration zu suchen.

Zu Beginn des Gedichts spricht Schlegel den Kunstrichter direkt an, indem er ihm eine angeborene „Kraft“ und „Genius“ zuschreibt, die jedoch durch die „feige Qual“ des Anpas-sens an äußere Normen blockiert wird. Der Dichter soll nicht versuchen, sein Inneres durch die Vorstellungen anderer zu modellieren, sondern das „Ideal“ aus seinem eigenen Wesen heraus zu schöpfen. Schlegel kritisiert die künstliche Zurschaustellung der Kunst, die eher einem „Traum“ als einer wahren Schöpfung gleichkommt. Diese Warnung vor der Abweichung von der inneren Wahrheit betont die Bedeutung der Authentizität des Kunstwerks.

Schlegel geht weiter und stellt die Natur als das höchste Ideal der Kunst dar. Der wahre Dichter wird von der Natur selbst „adelt“ und soll sich von nichts aufhalten lassen, was ihm in seinem kreativen Fluss entgegensteht. Das Gedicht fordert zu einer „kühnen“ Darstellung des Inneren auf und warnt davor, sich in den Zwängen der Form und Konvention zu verlieren. Dennoch wird die Kunst in ihrer höchsten Form als etwas verstanden, das den „Göttern“ zusteht – eine vollkommene Kunst, die für den menschlichen Künstler unerreichbar bleibt.

Der Dichter soll nicht versuchen, die Natur oder die „Himmlische“ zu verschönern oder sie zu verbessern, indem er sie im „Werk seines Hirnes“ widerspiegelt. Vielmehr soll er sich der „stillen Einfalt“ und der reinen Wahrnehmung hingeben. Schlegel weist darauf hin, dass die wahre Kunst aus der „Wahrheit“ entsteht und ohne sie zu „Schall“ verkommt. Diese Wahrheit ist das göttlichste Element der Poesie, und ohne sie bleibt das Werk leer und bedeutungslos. Die wahre Kunst ist die, die sich dem Leben und der Natur widmet, ohne es zu verzerren oder zu idealisieren.

Abschließend verweist Schlegel auf die tiefere Bedeutung von Poesie und Kunst als „Mittheilung“ von Gefühlen, die sowohl in Freude als auch in Schmerz geteilt werden. Der wahre Dichter ist der, der das „eigene Leben“ in sich trägt und es authentisch in seiner Kunst ausdrückt, ohne sich durch die äußeren Bewertungen eines „Kunstrichters“ beeinflussen zu lassen. Diese kritische Haltung gegenüber der Kunstkritik und der Kunstproduktion, die sich zu sehr an Konventionen orientiert, zeigt Schlegels Wunsch nach einer ehrlichen und tief empfundenen Kunst, die dem Leben und der Wahrheit treu bleibt.

Insgesamt fordert Schlegel den Dichter dazu auf, sich nicht durch äußere Maßstäbe oder Bewertungen von Kunstkritikern beeinflussen zu lassen, sondern die wahre Kunst aus seiner eigenen inneren Wahrheit zu schöpfen. Nur so kann er der „Wahrheit“ gerecht werden, die die Grundlage aller wahren Kunst bildet.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.