Lied
Oft, wenn wir lang im Dunkel schweifen
Durch eine tiefverhüllte Nacht,
Dann werden uns die Purpurstreifen
Aurorens plötzlich angefacht.
Verzweifle keiner an den Wegen,
Die das Verhängnis mächtig geht,
Sie bringen uns dem Glück entgegen,
Das wunderbar am Ziele steht.
Und hat dich Mißgeschick betroffen,
Und hat dich mancher Schmerz verletzt,
Hör dennoch nimmer auf zu hoffen,
Und die Erfüllung naht zuletzt.
Es quälen uns so manche Plagen,
Eh‘ uns der Götter Gunst beglückt,
Wir müssen manche Dornen tragen,
Eh‘ uns der Kranz der Freude schmückt.
So wechselt’s in den ird’schen Dingen,
Das ist der Fluch der flücht’gen Zeit,
Und will ich morgen fröhlich singen,
So muß ich kläglich weinen heut.
Zwar kommt Erhörung oft geschritten
Mit ihrer himmlischen Gewalt,
Doch dann erst hört sie unsre Bitten,
Wenn unsre Bitten lang verhallt.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Lied“ von August von Platen ist eine poetische Reflexion über das Verhältnis von Leid, Hoffnung und Erlösung. In der ersten Strophe beschreibt der Sprecher das Bild der tiefen Nacht, die symbolisch für schwierige, dunkle Zeiten im Leben steht. Doch gerade in diesen Momenten der Dunkelheit, wenn der Weg unklar scheint, erscheinen plötzlich „Purpurstreifen“ des Morgens, die Hoffnung und Veränderung symbolisieren. Die „Auroren“, also die ersten Sonnenstrahlen, verkörpern den Übergang von Dunkelheit zu Licht und von Verzweiflung zu Hoffnung.
In der zweiten Strophe wird der Leser dazu aufgefordert, an den Wegen des Lebens nicht zu zweifeln, auch wenn sie vom „Verhängnis“ bestimmt erscheinen. Diese Wege führen letztlich zum Glück, das am Ende des Lebensweges wartet. Das Gedicht betont, dass das Leben trotz der unvermeidlichen Schwierigkeiten und Hindernisse einen höheren Zweck und ein positives Ziel hat, das es zu erreichen gilt. Die Strophe vermittelt eine tröstliche Botschaft: Auch die dunkelsten Momente haben ein Ende, und das Glück ist das Ziel der Reise.
Die dritte und vierte Strophe setzen diese Hoffnung fort, indem sie die Unvermeidlichkeit von Leiden und Rückschlägen im Leben thematisieren. Der Sprecher fordert den Leser auf, trotz Missgeschicken und Schmerz niemals die Hoffnung aufzugeben, da die Erfüllung der Wünsche und die Freude am Ende doch noch kommen werden. Die „Dornen“, die wir tragen müssen, symbolisieren das Leid und die Prüfungen, die uns auf unserem Weg begegnen, aber letztlich werden sie durch den „Kranz der Freude“ ersetzt.
Die letzte Strophe bringt die duale Natur des Lebens zum Ausdruck – Freude und Leid wechseln sich ab. Der „Fluch der flücht’gen Zeit“ beschreibt die Vergänglichkeit des Lebens und der Emotionen, wodurch das Streben nach Glück immer wieder von momentanen Rückschlägen begleitet wird. Doch der Sprecher erkennt, dass wahre Erhörung und Erfüllung oft nur dann kommen, wenn das Leben eine lange Zeit des Leidens und der geduldigen Hoffnung durchlaufen hat. Die Vorstellung, dass die Bitten erst dann erhört werden, wenn sie lange verhallt sind, bringt die bittersüße Wahrheit zum Ausdruck, dass Glück und Erlösung nicht immer sofort eintrifft, sondern sich oft erst nach langem Warten manifestiert.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.