Vorfrühling
Pralle Wolken jagen sich in Pfützen
Aus frischen Leibesbrüchen schreien Halme Ströme
Die Schatten stehn erschöpft.
Auf kreischt die Luft
Im Kreisen, weht und heult und wälzt sich
Und Risse schlitzen jählings sich
und narben
Am grauen Leib.
Das Schweigen tappet schwer herab
Und lastet!
Da rollt das Licht sich auf
Jäh gelb und springt
Und Flecken spritzen –
Verbleicht
Und
Pralle Wolken tummeln sich in Pfützen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Vorfrühling“ von August Stramm beschreibt mit kraftvollen und unkonventionellen Bildern die wilde und ungestüme Natur eines Übergangs, der zwischen Winter und Frühling liegt. Die „prallen Wolken“, die sich in „Pfützen“ jagen, vermitteln den Eindruck von Bewegung und Lebendigkeit, aber auch von Chaos. Stramm nutzt hier eine ungewöhnliche, fast roher Sprache, um den Kampf und das zügellose Erwachen der Natur darzustellen. Die „frischen Leibesbrüche“, aus denen die „Halme“ schreien, verstärken den Eindruck von Schmerz und Erneuerung, als ob die Natur selbst eine gewaltsame Geburt durchmacht, um sich aus den Fesseln des Winters zu befreien.
Die Atmosphäre des Gedichts ist von heftigen, kraftvollen Bewegungen durchzogen. Die Luft „kreischt“, weht, heult und „wälzt sich“, was die innere Unruhe und den Sturm der Natur widerspiegelt. Das Gedicht ist voll von dramatischen, fast gewalttätigen Naturbildern, wie „Risse“ und „Narben“, die den rauen Charakter der Übergangszeit zwischen den Jahreszeiten verdeutlichen. Stramm stellt die Natur als einen lebendigen, leidenschaftlichen Organismus dar, der sich mit aller Kraft erneuert, aber dabei auch Narben hinterlässt. Diese Narben könnten als Metapher für die Konflikte und Entbehrungen verstanden werden, die notwendig sind, um zu neuer Lebenskraft zu gelangen.
Das „Schweigen“, das schwer herabfällt und „lastet“, bildet einen starken Kontrast zu der zuvor beschriebenen wilden Aktivität. Es symbolisiert vielleicht einen Moment der Erschöpfung oder der Stille vor dem endgültigen Erwachen. Doch dieser Moment der Ruhe ist nur von kurzer Dauer, bevor das „Licht“ plötzlich in „gelbem“ Strahlen „aufrollt“, eine Metapher für das wiederkehrende Sonnenlicht des Frühjahrs, das die Dunkelheit vertreibt. Doch auch das Licht ist nicht beständig: Es „verbleicht“, was die Flüchtigkeit und die fließende Natur der Jahreszeiten symbolisiert.
Der Zyklus schließt sich mit den „prallen Wolken“, die sich wieder in Pfützen tummeln, was eine Art Wiederholung und Rückkehr zur Anfangssituation darstellt. Es zeigt den unaufhörlichen Kreislauf der Natur – das ständige Wechselspiel zwischen Zerstörung und Erneuerung, Licht und Dunkel, Ruhe und Bewegung. Stramm fängt in seinem Gedicht nicht nur die gewaltige, ungebändigte Kraft der Natur ein, sondern auch die existenziellen Spannungen, die mit dem Beginn eines neuen Zyklus verbunden sind.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.